Angstpartie - Thriller
»Ich kann Englisch«, sagte sie. Sie zeigte auf die anderen Frauen. »Die nicht.«
»Was machen Sie auf diesem Boot?«
»Wir wollen arbeiten«, erklärte sie.
»In welchem Beruf?«
»Als Model«, erwiderte sie ernst. Liz biss sich auf die Unterlippe. Glaubte diese Frau das tatsächlich? Glaubte sie wirklich an die Lügen, die man ihr zu Hause in ihrem Dorf erzählt hatte - von einem schönen Leben im Westen, einem guten Verdienst für ehrliche Arbeit?
Liz dachte daran, was diese »Fracht« erwartet hätte: die Reise in eine unbekannte englische Stadt, eingepfercht in einen Kleintransporter; eine trostlose Unterkunft; Drohungen
und Vergewaltigungen, bis sie so gefügig gemacht waren, dass man sie zur Arbeit im Sex-Gewerbe zwingen konnte. Gewerbe?, dachte Liz wütend. Das war moderne Sklaverei.
21
Sie erreichten Harwich um drei Uhr morgens. Nach und nach hatte sich die Stimmung der weiblichen Reisenden etwas aufgehellt. Deutlich unglücklicher blickten die beiden arabischen Männer drein. Man hatte sie bereits an Bord nach Waffen durchsucht, im Hafengebäude durchsuchte Harrison sie noch einmal.
Beide hatten britische Pässe mit Adressen in Londoner Vororten - Walthamstow und Pinner. Die Männer hießen Chaloub und Hanoush, was für Liz libanesisch klang - Vesharas Leute.
Sagen wollten sie gar nichts: Chaloub, der ältere, hatte offenbar einschlägige Erfahrungen und verlangte einen Anwalt. Er gab Hanoush barsch eine Anweisung auf Arabisch. Liz nahm an, dass er dem jüngeren Mann sagte, er solle den Mund halten.
Für Liz gab es keinen Grund, noch länger zu bleiben. Harrison würde ihr bald mitteilen, was er aus den Festgenommenen herausbekommen hatte.Viel würde das sicher nicht sein, aber genug, um Anklage gegen sie zu erheben. Dass sie für Veshara arbeiteten, ließ sich kaum leugnen - seine Firma war als Eignerin der Dido eingetragen. Eine Verbindung zu den syrischen Geheimdiensten oder mit der Gleneagles-Konferenz in sechs Wochen hielt Liz hingegen für unwahrscheinlich.
Sie beschloss, trotz der späten Uhrzeit sofort nach London zurückzufahren. Drei Stunden Schlaf in einem Motel würden sowieso kaum Erholung bringen. Die A12 war nahezu leer und selbst auf der M25 war vergleichsweise wenig los. Liz kam gut voran. Bei Sonnenaufgang erreichte sie die ersten Vororte von London. So früh am Tag wirkte die Stadt wie ausgestorben, fast wie eine Szenerie aus einem Weltuntergangsfilm.
In Nordlondon fuhr sie durch Dalston und Holloway, überholte einen einsamen Milchwagen auf der Fortress Road und erreichte schließlich ihre Wohnung in Kentish Town. In ihrer Straße wartete vor einem der Häuser ein Taxi. Ein früher Aufbruch für irgendeinen jungen Banker, dachte sie, zu einem Meeting in Zürich oder Rom.
In ihrer Wohnung wusch sich Liz kurz das Gesicht und zog sich frische Kleidung an. Obwohl ihr Bett verführerisch lockte, widerstand sie der Versuchung, sich ein Nickerchen zu gönnen. Danach würde sie nur den ganzen Tag lang völlig fertig sein. Besser war es, jetzt durchzuhalten und heute Abend früh ins Bett zu gehen.
Zwanzig Minuten später schlug sie die Haustür zu, stieg die Treppe zur Straße hinauf und machte sich auf den Weg zur U-Bahn. Das Viertel erwachte jetzt langsam. Zu ihrer Verwunderung sah sie dasselbe Taxi ein Stück weiter noch immer warten. Ihr Nachbar hatte anscheinend verschlafen.
Auf der Kentish Town Road waren nun bereits ein paar Autos unterwegs, doch den Bürgersteig hatte sie noch fast für sich allein. Die Schule begann erst in einer Woche wieder, die meisten Leute waren wohl noch im Urlaub. Selbst der MI5 arbeitete im Augenblick mit reduzierter Belegschaft. Charles war allerdings im Dienst, obwohl seine Jungs noch Ferien hatten. Joannes Zustand erlaubte keine größeren Reisen.
Liz würde ihn später am Vormittag aufsuchen und ihm von ihrem nächtlichen Abenteuer auf See berichten. Sami Veshara fragte sich inzwischen sicher, was aus seiner Lieferung geworden war. Liz konnte sich vorstellen, dass sich Harrison darauf freute, den libanesischen Importeur über seine einträglichen Nebengeschäfte zu befragen und ihn dann zu verhaften. Sie würde Charles vorschlagen, sie selbst ebenfalls mit Veshara sprechen zu lassen. Vielleicht konnte sie ihn zu einem Handel überreden - selbstverständlich im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten. Wenn er mit dem MI5 zusammenarbeitete, wirkte sich das unter Umständen günstig auf den einen oder anderen Anklagepunkt aus.
Liz blieb am
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