Angstpartie - Thriller
Dafür fand sie ihre Tätigkeit einfach viel zu faszinierend. Sobald sich der Stau, wie so oft in London, aus unerfindlichen Gründen plötzlich auflöste, hob sich auch ihre Stimmung. Als sie etwa in der Mitte der Whitehall vor der Tür des Kabinettsbüros ausstieg, war sie schon wieder bester Dinge.
Im Konferenzraum im ersten Stock stand ein großer quadratischer Tisch. Ohne die vergilbten Splitterschutzfolien an den Fenstern hätte man von hier aus einen wunderbaren Blick in den Garten von Downing Street gehabt. Liz war trotzdem nicht unglücklich über die Folien. Sie dachte an die Mörsergranate, die in den 1980ern in den Rasen hinter Downing Street eingeschlagen war. Die IRA hatte sie durch das Dach eines Lieferwagens abgeschossen, der weniger als eine Viertelmeile entfernt abgestellt worden war.
»Ich schlage vor, wir fangen an«, sagte ein hoher Beamter des Innenministeriums, dessen monotoner Stimme anzuhören war, dass er bereits zahllose Besprechungen wie diese geleitet hatte. Seinen Namen hatte Liz nicht verstanden, und als sie nun seine nichtssagenden, wenig markanten Züge betrachtete, nannte sie ihn im Stillen »Mr Gesichtslos«.
»Wie Sie alle wissen, findet in zwei Monaten die Gleneagles-Konferenz statt. Entgegen unseren ursprünglichen Erwartungen haben wir vor Kurzem erfahren, dass voraussichtlich alle wichtigen Mächte teilnehmen werden, was selbstverständlich erhöhte Sicherheitsanforderungen mit sich bringt. Ich gehe davon aus, dass sämtliche Abteilungen und Behörden, deren Vertreter an diesem Tisch sitzen, deshalb in engen Kontakt miteinander und mit unseren Verbündeten treten werden.« Hier nickte Mr Gesichtslos in Richtung zweier Männer, ganz offensichtlich Amerikaner, die Liz gegenübersaßen.
»Diese Besprechung wurde angesetzt, um die Wichtigkeit zu unterstreichen, die der Innenminister und der Premierminister einem erfolgreichen Verlauf der Konferenz beimessen. Es darf auf keinen Fall zu irgendwelchen Störungen kommen. Die Herren Minister sind gemeinsam mit ihren Kollegen in Washington der Ansicht, dass die Konferenz angesichts der Zusammensetzung der Teilnehmer die erste ernstzunehmende Möglichkeit darstellt, in den Friedensbemühungen für die Krisenregion einen fundamentalen Durchbruch zu erzielen.«
Während Mr Gesichtslos seine Ausführungen fortsetzte, ließ Liz diskret ihre Blicke schweifen. Entgegen den üblichen Gepflogenheiten hatte der Leiter der Besprechung den Anwesenden keine Gelegenheit gegeben, sich vorzustellen. Deshalb vertrieb sich Liz nun die Zeit damit, zu erraten, wer mit ihr am Tisch saß. Ein hoher Vertreter der städtischen Polizei - sie hatte ein Bild von ihm in der Zeitung gesehen, ihn aber nie persönlich kennengelernt - saß neben einem Herrn, den sie ebenfalls für einen Polizisten hielt. Sicher ein ranghoher Vertreter aus Schottland. Dann die beiden Amerikaner. Sie mussten zur Londoner Abteilung der CIA gehören, wie FBI-Männer sahen sie nicht aus. Außerdem kannte sie die meisten Leute des FBI aus der
Botschaft. Einer der Amerikaner trug eine Hornbrille, einen khakifarbenen Sommeranzug und eine gestreifte Krawatte, mit der er zu erkennen gab, dass er an einer der renommierten alten Ostküstenuniversitäten studiert hatte. Der zweite Amerikaner war etwas älter als sein Kollege, ziemlich massig und fast kahl. Er nutzte eine kurze Sprechpause von Mr Gesichtslos für eine Erklärung: »Ich bin Andy Bokus, Abteilungsleiter in Grosvenor.« CIA - wie Liz vermutet hatte. Seine Leierstimme hätte gut zu einem Gebrauchtwagenhändler aus dem amerikanischen Mittleren Westen gepasst. »Und das ist mein Kollege, Miles Brookhaven. Bislang liegen uns bezüglich der Konferenz keine spezifischen kritischen Informationen vor.«
Liz unterdrückte ein Stöhnen. Verstehe einer die Amerikaner. Traf man sie in legerem Rahmen, wirkten sie freundlich und kein bisschen aufgeblasen. Gab man ihnen jedoch eine Bühne, so verwandelten sie sich in Roboter.
Bokus fuhr fort: »Wir stehen in ständigem Kontakt mit dem FBI. Auch dort gibt es bisher keinerlei Auffälligkeiten. Bei sämtlichen noch folgenden Zusammenkünften wird ein Repräsentant dieser Behörde zugegen sein.« Er hielt kurz inne. »Dasselbe gilt für den Secret Service.«
»Tatsächlich?«, fragte ein hochgewachsener rotblonder Mann, der sich lässig zurücklehnte. Verflixt! Das war Bruno Mackay, ein MI6-Mann, mit dem Liz bereits gelegentlich aneinandergeraten war. Sie hatte ihn eine Ewigkeit nicht gesehen,
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