Angstpartie - Thriller
sich matt. Sie hatten den ganzen Vormittag lang Berichte studiert, in denen stand, was Danny Kollek an Andy Bokus weitergab. Dabei hatten sie vergeblich auf eine Erleuchtung gehofft, denn die Informationen
waren allesamt drittklassig - kaum mehr als Tratsch und Hörensagen. Selbst Markov, der jüdisch-russische Oligarch, der inzwischen in Lancashire in der Nähe seiner frisch erworbenen Fußballmannschaft residierte, konnte ihnen über die anderen russischen Emigranten nichts sagen, was der MI5 nicht längst wusste.
»Denken Sie dasselbe wie ich?«, fragte Miles.
»Wahrscheinlich.« Liz zeigte auf die Unterlagen. »Die geben nicht viel her.«
»Ehrlich gesagt, mir ging gerade durch den Kopf, wie hungrig ich bin.« Miles lachte. »Wie steht es mit Ihnen?«
»Ich könnte eine Kleinigkeit vertragen. Um die Ecke gibt es einen annehmbaren Sandwichladen. Wir könnten uns auf eine Bank am Fluss setzen und dem Treiben auf dem Wasser zusehen.«
»Ist die Tate Gallery nicht auch ganz in der Nähe?«
»Ja, nur ein Stück weiter die Straße entlang. Weshalb?« Liz war bereits aufgefallen, dass Miles gern Fragen stellte, die nichts mit dem eigentlichen Thema zu tun hatten.
»Ich war lange nicht dort. Wie wäre es, wenn wir dort unser Sandwich holen?«
Zwanzig Minuten später betrachteten Liz und Miles ein großes Ölgemälde von Francis Bacon. Es zeigte die groteske Gestalt eines männlichen, satyr-ähnlichen Wesens mit verzerrten Zügen.
»Ich bin mir nie sicher, was ich von Bacon halten soll«, bemerkte Miles. »Ich weiß, dass er ein großartiger Maler ist und dass man für seine Bilder siebenstellige Summen bezahlt. Aber ich frage mich, was seine Gemälde von denen unterscheidet, die Hieronymus Bosch schon vor ein paar Hundert Jahren gemalt hat.«
Sie gingen nicht in das noble Restaurant im Untergeschoss, sondern kauften im Café Sandwiches. Dann setzten sie sich auf die Barhocker im Korridor.
Liz, die nur ihre normale Bürokleidung - Rock und Bluse - trug, amüsierte sich über Miles′ eleganten Blazer und die cremefarbene Leinenhose. Ging seine Vorliebe für förmliche Kleidung auf die Zeit an der Westminster School zurück? Nun fehlt nur noch ein Strohhut, dachte sie, dann könnte man ihn zur Henley Regatta schicken.
»Bis zur Konferenz ist es nicht mehr lange.« Miles beäugte kritisch sein Lachssandwich.
»Zwei Wochen.«
»Leider bin ich dann nicht hier.«
»Tatsächlich?« Liz war überrascht.
»Ich reise in den Nahen Osten. Eine meiner Aufgaben ist es, über die dortigen Entwicklungen immer auf dem neuesten Stand zu sein, und seit ich in London arbeite, hat sich manches getan. Ich fahre nach Damaskus. Kann ich Ihnen dort irgendetwas besorgen?«
»Mich interessiert grundsätzlich alles, was Sie über Marchams Zeit in Syrien herausfinden können.«
»Oh«, sagte er lächelnd. »Ich dachte eher an etwas Persönliches. Seide oder Damast aus der Altstadt vielleicht?«
Liz seufzte innerlich. Sie mochte Miles. Aber sie hatte nicht vergessen, wie er sich im London Eye vergeblich bemüht hatte, ihr Informationen zu entlocken. Versuchte er es jetzt auf die romantische Tour? Sie fand das schmeichelhaft und hatte gegen sein Interesse an ihr nichts einzuwenden. Sie wünschte nur, er hätte sich einen besseren Zeitpunkt ausgesucht.
»Außerdem muss ich zugeben, dass mir eine kleine Pause von Andy Bokus ganz gelegen kommt.« Er zog eine Grimasse.
Liz sah ihn an. »Ist er so schlimm?«, fragte sie leichthin. Ihre Neugier war geweckt, aber sie wollte nicht zu aufdringlich nachfragen. Miles beklagte sich sonst nie.
Er zuckte mit den Achseln, faltete die Papierserviette und legte sie auf seinen Teller. »Man sagt gern, in den USA gäbe es keine Klassenunterschiede. Aber Bokus sieht das anscheinend anders.«
Liz lachte. »Um welche Unterschiede geht es denn?« Sie wollte nicht so tun, als kenne sie sich mit den gesellschaftlichen Strukturen in den USA aus.
»Um die zwischen ihm und mir. Manchmal glaube ich, ich bin wie ein rotes Tuch für ihn. Nicht etwa, weil meine Familie Geld hat. Es hat mehr damit zu tun, wo ich zur Schule gegangen bin und wo ich studiert habe. Bokus nennt mich gern Ivy .«
»Ivy?« Damit konnte Liz nichts anfangen. Zwar war Miles im Unterschied zu seinem Vorgesetzten nicht gerade ein Macho, doch sehr feminin war er auch nicht. War ihr irgendetwas entgangen?
Offenbar sah sie ziemlich verdutzt drein, denn Miles beeilte sich mit einer Erklärung. »Wie in ›Ivy-League‹ als Sammelbegriff
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