Angstschrei: Thriller
sehr Andy sich zwang, irgendwelches Essen in sich hineinzustopfen, es schien nichts zu nützen. Er blieb klein und mager und sah komisch aus. So war es eben. Ein hässliches Entlein, aus dem niemals ein schöner Schwan werden würde.
Tante Denise, Mimsys jüngste Schwester, hatte ihn immer als zierlich bezeichnet. Obwohl sie bloß zehn Jahre älter war als Andy, behandelte sie ihn stets wie ein kleines Kind. » Jetzt mach dich doch nicht verrückt«, sagte sie oft zu Mimsy, wenn sie zum Babysitten herüberkam, weil Mimsy die ganze Nacht weg war. » Andy ist schon okay«, sagte sie dann. » Er ist halt ein bisschen zierlich.«
Gott, wie er dieses Wort hasste. Zierlich. Als wäre er irgendeine gottverdammte Fee. Er war ganz bestimmt alles andere als eine Fee, und wenn es jemanden gab, der das wusste, dann war es Denise. Verdammt noch mal, er wusste, dass sie es wusste. So wie sie jedes Mal, wenn sie auf ihn aufpassen sollte, in diesem durchsichtigen Nachthemd in der Wohnung rumstolzierte und ihre Möpse zur Schau stellte. Wie sie ihn gnadenlos hänselte, wenn sie ihn bei einem verstohlenen Blick ertappte. Schlampe.
Manchmal hockte Andy sich vor das Schlüsselloch, wenn Denise in der Badewanne lag oder unter der Dusche stand. Das machte ihm immer sehr viel Spaß, zumindest bis zum letzten Mal. Da hockte er also, vierzehn Jahre alt, auf den Knien, das eine Auge gegen die Tür gedrückt, als sie plötzlich mit Schwung aufgerissen wurde und Denise ihn auf frischer Tat ertappte. Schlampe.
» Wolltest du vielleicht irgendwas sehen, Andy?«, sagte sie. Splitterfasernackt stand sie vor ihm, ein schmieriges Grinsen im Gesicht und ihre Stimme so zuckersüß, als könnte sie kein Wässerchen trüben.
» Nein, nein, ich hab bloß… war bloß… hier.«
» Hast du etwa noch nie eine nackte Frau gesehen?«
Er gab keine Antwort.
» Hast du nicht, hab ich recht?«
Er brachte kein Wort heraus. Rappelte sich auf und stand einfach nur da, mit knallrotem Gesicht. Sie konnte garantiert die Beule in seiner Pyjamahose sehen, die von seinem Ständer kam. Bestimmt würde er gleich explodieren und sich total einsauen.
» Also gut, dann schau mal genau hin, Andy«, sagte sie mit einem gehässigen kleinen Lächeln. » Aber nicht anfassen. Denn das wär nicht richtig, oder?« Schlampe.
Er wusste noch, wie sie ihm die Tür vor der Nase zugemacht hatte. Ganz bestimmt würde sie Mimsy erzählen, was er getan hatte. Das war dann zwar nie eingetreten, aber die Angst war immer da. Und wenn sie danach über Nacht blieb, war das Schlüsselloch der Badezimmertür jedes Mal verdeckt. Er bekam sie nie wieder nackt zu sehen.
Andy schüttelte traurig den Kopf. Nein, nein, er mochte die Mädchen durchaus. Genau wie jeder andere auch. Es war bloß so, dass sie ihn nicht mochten. Keine Einzige. Wenn er darüber nachdachte, spürte er das altbekannte Gefühl der Verzweiflung in sich aufsteigen. Er versuchte es wegzuschieben. Das konnte er wirklich nicht gebrauchen. Schon gar nicht jetzt. Er machte die Augen zu und holte tief Luft, um sich zu beruhigen.
Seine Mutter war nicht mehr da, vor knapp fünf Jahren war sie an Krebs gestorben. Er vermisste sie. Ganz ehrlich. Andererseits musste er, wenn er mal ganz ehrlich war, zugeben, dass ihr Tod nicht nur schlechte Seiten hatte. Das Apartment 1F gehörte jetzt ganz allein ihm. Es stank nicht mehr nach Zigarettenrauch, und er musste seine Zeitschriftenstapel und seine Videos nicht mehr verstecken und keine Angst mehr haben, dass sie sie entdecken könnte. Außerdem wurde er nicht ständig getriezt, dass er doch mal ausgehen und sich ein nettes Mädchen suchen sollte.
Irgendwie hatte Mimsy es nie kapiert. Die Mädchen mochten ihn einfach nicht, nicht mal die hässlichen. Gelegentlich raffte er all seinen Mut zusammen und überredete irgendein weibliches Wesen, das er bei einer Partnerbörse im Internet aufgetan hatte, sich mit ihm zu verabreden. Eines, das hässlich genug oder verzweifelt genug war, um ihm wenigstens eine Chance zu geben. Aber es funktionierte einfach nicht. Es kam nie zu einem zweiten Treffen, und Andy hatte einfach keine Lust mehr, abgewimmelt und versetzt und zurückgewiesen zu werden. Und außerdem, eine Hässliche wollte er sowieso nicht haben. Er wollte ein Mädchen wie Lainie. Aber jetzt war sie ihm genommen worden. Das war einfach nicht gerecht. Gott hatte ihn mal wieder so richtig in den Arsch getreten.
Zur Hölle damit. Er wollte nicht mehr darüber nachdenken. Auf eine gewisse
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