Angstschrei: Thriller
Wharf, eine der vielen Seebrücken am industriell genutzten Uferabschnitt von Portland. Wolfes Praxis befand sich in einem alten, dreigeschossigen Holzhaus am hinteren Ende. Eine Fensterfront im zweiten Stock war hell erleuchtet. Ein blitzblank geputzter Lexus IS 350 parkte direkt davor. Der musste wohl Wolfe gehören. Der Rest des Gebäudes lag dunkel und verlassen da. McCabe stieg die drei Eingangsstufen hinauf, klingelte bei der 201 und linste durch die gläserne Haustür in das dunkle Foyer. Das Haus, das früher einmal als Lagerhalle oder vielleicht als Fischfabrik gedient hatte, war innen komplett saniert worden, und zwar in einem Stil, den McCabe gerne als » SoHo-modern« bezeichnete. Glänzend schwarze Wände, freiliegende Rohrleitungen, die sich im Zickzack über die Decke zogen, große Fenster mit Blick auf den Hafen.
Dr. Wolfe war offensichtlich nicht am Telefon gewesen, denn es dauerte keine Minute, bis er die Tür aufmachte. McCabes ehemaliger Seelendoktor war Mitte vierzig und eins fünfundachtzig groß, vielleicht auch ein paar Zentimeter größer. Die grauen Haare waren erheblich kürzer geschnitten, als McCabe sie in Erinnerung hatte. Er trug eine runde, randlose Brille, die das Blau seiner Augen noch intensiver erscheinen ließ. Mit dem schwarzen Pullover, der schwarzen Hose und den schwarzen Segeltuchschuhen hatte er eher Ähnlichkeit mit dem Filmregisseur, der McCabe einst gern geworden wäre, als mit einem erfolgreichen Psychiater aus dem beschaulichen Portland, Maine.
» Schön, Sie zu sehen«, sagte Wolfe. Er ließ den Fahrstuhl links liegen und deutete auf die schwarze Stahltreppe. Sie gingen nach oben. » Das müsste jetzt ungefähr ein Jahr her sein, oder?«
» Ein bisschen länger noch.«
» Wie ist es Ihnen seitdem ergangen?«, wollte Wolfe wissen. Die Frage war eindeutig medizinisch gemeint.
» Gut«, antwortete McCabe. » Und Ihnen?«
» Keine Alpträume mehr?«
» Ich komme ganz gut zurecht.« Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, aber scheiß drauf.
» Nehmen Sie immer noch Xanax?«
» Nein.«
» Gut. Ich bin froh, dass Sie es nicht brauchen. Trinken Sie noch?«
» Dann und wann.«
» Zu viel?«
» Ich glaube nicht.«
Wolfe teilte sich das oberste Stockwerk mit einer Psychiaterin namens Leah Peterson. » Gehen wir in mein Büro«, sagte er.
Der Kontrast zwischen dem Büro und Wolfes Praxisraum, in dem die Abby Quinns und Michael McCabes dieser Welt ihm ihre Geschichten offenbarten, hätte kaum größer sein können. Zwei unterschiedliche Welten, die beide zu ein und demselben Mann gehörten. Der Praxisraum war klein und gemütlich. Dem Sessel des Doktors gegenüber stand eine große, bequeme Couch, die Regale an den Wänden waren mit Büchern und allerlei Krimskrams gefüllt. Alles, damit die Patienten sich wohlfühlten. Das Büro jedoch sah vollkommen anders aus. Es war im Grunde genommen ein Spiegelbild der kühlen, kantigen Modernität des Foyers. Überall glänzende Flächen aus Glas und Chrom. Die zimmerhohen Fenster eröffneten den Blick auf den Hafen.
McCabe schaute hinaus. Zwei Schlepper zogen gerade ein großes Containerschiff zum internationalen Schiffsterminal. Autoscheinwerfer glitten in gleichmäßigem Strom über die Casco Bay Bridge.
Vier Stühle aus Chrom und Leder bildeten zusammen mit einem asymmetrischen Glastisch eine Sitzecke.
» Ich habe Thailändisch bestellt«, sagte Wolfe und deutete auf einen der Stühle. » Beim Siam Grill.« Den kannte McCabe. Hervorragendes thailändisches Essen und ausgefallene Martini-Cocktails in der Fore Street. Einer der besten Asiaten der Stadt.
» Shrimps in Kokosnuss-Soße. Frische Frühlingsrollen. Scharfe Ente mit Basilikum. Dauert noch etwa zwanzig Minuten. In Ordnung für Sie?«
» Perfekt.«
» Scotch?«, fragte Wolfe und holte eine Flasche Dewar’s aus seiner Schreibtischschublade.
» Ist das erlaubt?«
» Warum nicht? Sie sind ja nicht als Patient hier.« Wolfe schenkte sich einen Schluck ein.
McCabe widerstand der Versuchung. Er war im Dienst, Wolfe nicht. » Im Augenblick nicht. Haben Sie einen Schluck Wasser für mich?«
Wolfe ging zu einem kleinen Kühlschrank hinter seinem Schreibtisch, gab ein paar Eiswürfel in seinen Drink und holte für McCabe eine Flasche Poland-Spring-Mineralwasser.
» Danke. Fantastischer Blick.«
» Ja. Leah Peterson und ich, wir segeln und kajaken beide. Wenn wir nicht auf dem Wasser sein können, dann sind wir gerne möglichst dicht dran.«
» Das Haus
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