Angstschrei: Thriller
wenn wir heiraten, aller Wahrscheinlichkeit nicht umgebracht wirst. Das passiert nur den wenigsten Polizisten, und außerdem wirst du ja nicht müde zu betonen, dass wir uns hier in Portland, Maine, befinden und nicht in New York oder Baltimore oder Detroit. Das Problem ist aber, McCabe, dass ich selbst dann, wenn du ein reifes Alter erreichen solltest, in den nächsten fünfzehn, zwanzig Jahren Nacht für Nacht hier liegen muss, während du unterwegs bist und irgendwelche Irren verfolgst. Und ich werde mir die ganze Zeit Sorgen machen, dass du vielleicht nie wieder nach Hause kommst, dass ich dich nie wieder sehe. Vielleicht ist das ungerecht. Vielleicht auch feige. Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass ich mir das im Augenblick einfach nicht zumuten möchte.«
» Kyra, sollen wir uns etwa trennen, nur weil du dir Sorgen um etwas machst, was so gut wie sicher niemals passieren wird?«
» Nein, das sage ich ja gar nicht.« Kyra legte ihm die Hände auf die Schultern und blickte ihm in die Augen. » Ich liebe dich viel zu sehr, um auch nur daran zu denken, dich aufzugeben. Ich sage nur, dass ich bei der Vorstellung, dass wir heiraten und vielleicht sogar Kinder haben könnten, jedes Mal Carol Comisky vor Augen habe, zusammen mit der Frau von Tommy und all den anderen, die allein zurückgeblieben sind.«
McCabes Bruder Tommy, Polizist im Rauschgiftdezernat, Tommy, der Drogenfahnder. Er war vor fünf Jahren von einem Drogendealer erschossen worden. » Ich weiß, dass das nicht dein Problem ist, sondern meins«, sagte Kyra. » Vielleicht komme ich eines Tages darüber hinweg, und dann können wir den nächsten Schritt wagen. Aber jetzt im Moment bin ich einfach nicht bereit dazu. Ich geb dir Bescheid, wenn es so weit ist.«
» Kyra«, sagte er. » Menschen sterben eben. Lastwagenfahrer kommen bei Unfällen ums Leben. Cowboys werden vom Pferd geworfen. Und Gott weiß wie viele ruhige Büroangestellte sterben tagtäglich an Herzinfarkten oder Krebs. Wenn Casey den Führerschein macht– und bis dahin sind es keine zwei Jahre mehr–, dann werde ich genau wie jedes andere Elternteil auf der Welt nachts wach liegen und mich davor fürchten, dass das Telefon klingelt und mir irgendjemand erzählt, dass sie einen fürchterlichen Unfall hatte und tot oder verkrüppelt ist. Aber das heißt nicht, dass ich ihr den Führerschein oder das Fahren verbieten werde. Und es heißt auch nicht, dass ich sie lieber gar nicht erst in meinem Leben gehabt hätte. Wir können doch unser gemeinsames Leben nicht einfach aufgeben, bloß weil uns irgendetwas Schreckliches zustoßen könnte.«
» Ich weiß. Du hast recht«, sagte sie. » Aber bitte setz mich nicht unter Druck. Das ist etwas, womit ich selbst zurechtkommen muss, und das werde ich auch. Es wird jedenfalls nicht der Grund sein, warum ich dich nicht heirate. Wenn du verstehst, was ich meine.«
» Nein, eigentlich nicht.« Er hakte nicht noch einmal nach, aber jetzt wusste er gar nicht mehr, was er eigentlich fühlte. Irgendetwas zwischen Wut über die Zurückweisung und Angst, dass er sie tatsächlich verlieren könnte.
Kyra nickte, ging dann zum Flurschrank, griff nach einer Fleece-Weste und streifte sie über ihren Pullover. Dann folgte der knallrote Daunenparka von L.L.Bean. Sie ging zur Wohnungstür, blieb aber noch einmal stehen. » Denk daran, heute ist der Erste Freitag, und ich stelle vier Bilder im North Space aus.«
» Der Anlass für unsere kleine Feier.«
» Ja. Und ich bin sehr froh darüber, dass wir das getan haben. Ich bin sehr glücklich, dass ich dich habe. Und es tut mir leid, wenn ich dich unglücklich mache. Aber das geht vorbei.«
Von seinem Ausguck am Fenster aus starrte McCabe auf die unter ihm liegende Bucht und fragte sich, ob er sich tatsächlich zu einem Abend voller Smalltalk mit der Künstlerszene von Portland würde aufraffen können. An den » Ersten Freitagen« hatten die meisten der rund vierzig Kunstgalerien in Portland bis spät in die Nacht geöffnet, viele im Rahmen einer Vernissage mit neuen Werken. Die Galerie North Space war die erfolgreichste und etablierteste von allen. Kyra war stolz darauf, dass Gloria Kelwin, die Besitzerin, von ihrer Arbeit so angetan war. Und bestimmt wäre sie fürchterlich enttäuscht, wenn er sich gar nicht sehen ließe.
Andererseits… er konnte auch einfach hierbleiben und auf alles andere scheißen. Casey war bis Sonntagabend weg, also konnte er, wenn er wollte, das ganze Wochenende hier sitzen und
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