Angstschrei: Thriller
uns hinsichtlich des Mandantenschutzes erhebliche Probleme bereiten.«
» Das könnte tatsächlich problematisch werden.«
» Sie können das gerne mit Henry Ogden besprechen, aber ich bin mir sicher, dass Sie von ihm die gleiche Antwort bekommen werden. Nämlich dass Sie zuerst eine richterliche Anordnung brauchen, um Lainies Büro, ihre Akten und ihren Computer einzusehen. Und selbst dann weiß ich nicht, ob wir Ihnen Einblick in unsere Mandantenakten geben können.«
» Gut. Wir beantragen gleich morgen früh einen Durchsuchungsbefehl. So lange stelle ich einen Streifenbeamten vor die Tür und lasse sie mit einem Vorhängeschloss sichern. Außerdem hängen wir ein ZUTRITT - VERBOTEN -Schild an die Tür. Ich würde es begrüßen, wenn Sie die gesamte Belegschaft von Palmer Milliken darüber informieren würden, dass das Büro von niemandem betreten werden darf.«
8
Harts Island, Maine
Freitag, 6. Januar
23.30 Uhr
Abby Quinn wusste nicht, wie lange sie schon im Wandschrank des leer stehenden Sommerhauses der Castellanos saß, aber es kam ihr sehr lange vor. Der dünne Streifen Tageslicht, der zu Beginn noch unter der geschlossenen Tür hindurchgesickert war, war schon vor Stunden verblasst. Es war ihr viertes Versteck seit Dienstag, das vierte innerhalb von vier Tagen, aber jetzt, wo sie sich entschlossen hatte, die Insel zu verlassen, war klar, dass es auch ihr letztes sein würde. Ihr Plan war einfach. Das Haus der Castellanos stand höchstens hundert Meter vom Fähranleger entfernt. Freitagabends ging das letzte Boot um 23.55 Uhr. Dort war Bobby Howser Schiffsjunge. Sie war mit Bobby zusammen zur Highschool gegangen. Damals waren sie befreundet gewesen. Sie würde, sobald sie sah, wie er die Gangway einziehen wollte, losrennen und genau dann, wenn das Boot ablegte, aufspringen und das Monster hier auf der Insel zurücklassen. Das Monster, das sie in Gedanken TOD nannte.
Abby drückte auf den Beleuchtungsknopf ihrer alten, billigen Digitalarmbanduhr. Noch fünfundzwanzig Minuten. Sie schmiegte sich an die Rückwand des Schranks und schlang die Arme um die Knie. Sie drückte sie an sich, so fest sie nur konnte, als könnte sie dadurch die Angst aus ihrem Körper pressen, diesen Drang, schreiend hinaus in die Nacht zu rennen.
Zum tausendsten Mal lief der vergangene Dienstag vor Abbys innerem Auge ab. Er hatte eigentlich ganz normal angefangen. Wieder einmal so ein kalter Tag, an dem ihr einfach kein Grund einfiel, warum sie das Bett verlassen sollte. Sie schlief aus, und nachdem sie schließlich aufgewacht war, verbrachte sie den Großteil des Nachmittags unter ihrer schweren Daunendecke, vertieft in den neuesten Stephanie-Plum-Roman, während die Geräusche ihrer Mutter aus dem Erdgeschoss zu ihr heraufdrangen.
Eigentlich ging es ihr zurzeit ziemlich gut, und das war doch mal eine schöne Abwechslung. Sie nahm regelmäßig ihre Medikamente, und sie schienen auch zu wirken. Die Stimmen blieben stumm. Sie lebte wie ein ganz normaler Mensch und kam sich nicht vor wie irgend so eine Irre. Abends arbeitete sie als Kellnerin im Crow’s Nest und kam auch da ganz gut klar. Nahm Bestellungen entgegen und brachte nichts durcheinander. Sagte die Tagesangebote auswendig auf. Schrieb Rechnungen. Erkundigte sich nach dem Befinden der Gäste. Antwortete ihnen, dass es ihr prima ginge. Verdiente Geld und sparte und dachte, dass sie vielleicht sogar so etwas wie ein Leben haben könnte.
Sicher, die Medikamente machten sie dick, wie immer, aber dieses Mal hatte sie den Kampf aufgenommen. Kein Bier. Kein Naschkram. Kein Dessert. Und außerdem joggte sie abends, wenn sie im Nest fertig war, meistens noch die Sechs-Kilometer-Runde um die Insel, obwohl es spät war und kalt. Abby fühlte sich durch ihr schwabbelndes Fleisch viel zu unsicher, um tagsüber, im Hellen, auch nur über Joggen nachzudenken. Dann würden die Leute sie sehen und lachen über diese Verrückte, die versuchte, ihren wabbeligen Körper in Form zu bringen. Womöglich wachten sogar die Stimmen wieder auf und fingen an, sie zu verspotten. Nein. Das konnte sie nicht zulassen. Die Nacht bot ihr Deckung, und Deckung war genau das, was sie brauchte. Wenn sie sich an die Diät und ihr Fitnessprogramm hielt, dann konnte sie vielleicht im Frühjahr ein paar Kurse an der University of Southern Maine belegen. Noch ein paar Punkte für ihren Abschluss in Rechnungswesen sammeln. Ja, sagte sie sich. Genau das würde sie tun, wenn sie es schaffte, ihr Programm
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