Angstschrei: Thriller
darauf einzugehen. Travis war sicher alles andere als eine Leuchte. Lori hatte mal gesagt: » Wenn Dummheit reich machen würde, wäre Travis Millionär.« Aber wenigstens sah er gut aus, und es schien ihn auch nicht weiter zu stören, dass sie so dick war. Er merkte nicht mal, wenn sie sich merkwürdig benahm. Strahlte sie immer bloß mit diesem einfältigen Grinsen im Gesicht an.
Um halb neun sagte Lori: » Ach verdammt, was soll’s« und machte vorzeitig dicht. Gegen neun waren sie mit dem Aufräumen fertig. Travis fragte, ob sie Lust hätte, zum Strand zu fahren, den Wellen zuzusehen und vielleicht ein bisschen Gras zu rauchen. Sie sagte Nein, weil sie lieber noch laufen wollte. Er drängte nicht weiter. Sagte einfach » okay« und setzte sie vor dem Haus ihrer Mutter hinter Tomkins Cove ab. Sie stieg aus seinem Pick-up und blieb noch eine Weile auf den Stufen der Eingangstreppe stehen. Sie sah zu, wie die Rücklichter des Wagens sich den Hügel hinauf entfernten. Wahrscheinlich zog er seinen Joint jetzt alleine durch. Oder er suchte sich irgendein anderes Inselmädchen, mit dem er ein bisschen rummachen konnte. Abby sog die kalte, frische Luft in ihre Lungen und blickte hinauf zum Mond und den Millionen von Sternen, die in einem breiten Streifen den dunklen Himmel überzogen. Manchmal dachte sie, dass die Stimmen von dorther kamen. Sie waren Besucher aus einer weit, weit entfernten Galaxie und drangen in die Körper der Erdlinge ein, nahmen einen nach dem anderen in Besitz. Früher oder später würden sie alle unter Kontrolle haben. Einmal hatte sie ihrem Seelenklempner von dieser Theorie erzählt. Da hatte er gleich diesen besorgten Gesichtsausdruck aufgesetzt, woraufhin sie anfing, sich zu fragen, ob er vielleicht selbst einer von den Außerirdischen war. Vielleicht plante er sie zu ermorden, damit sie es nicht den zuständigen Behörden verraten konnte. Also machte sie schnell einen Rückzieher. Tat so, als wäre es nur ein Scherz gewesen. Er lachte nicht. Fragte sie bloß, ob sie ihre Medikamente abgesetzt habe. Danach hatte Abby versucht, der Polizei zu erklären, wie das mit den Außerirdischen war und dass die Menschen von ihnen gesteuert würden. Sie war sich ziemlich sicher, dass auch die ihr nicht geglaubt hatten.
Sie ging ins Haus. Einen Schlüssel brauchte sie nicht. Die Haustür ihrer Mutter war seit zwanzig Jahren nicht mehr abgeschlossen worden. Sie machte sie schnell wieder zu, damit die Wärme drinnenblieb. Wenn man überhaupt von Wärme sprechen konnte. Sie hörte irgendeinen Idioten bei American Idol vor sich hin krakeelen. Was für ein Scheiß. Sogar die Stimmen hörten sich besser an als das da. Sie schaltete den Fernseher aus und warf einen Blick hin zu ihrer Mutter, Gracie, um zu sehen, ob die plötzliche Stille sie aufgeweckt hatte. Was nicht der Fall war. Sie lag auf dem Lehnsessel, die Gliedmaßen von sich gestreckt, den Kopf im Nacken. Ein feuchtes Rasseln, halb Schnarchen, halb Gurgeln, drang aus ihrem geöffneten Mund. Abby sammelte das halbe Dutzend leerer, rund um den Sessel verstreuter Bud-Light-Dosen ein und warf sie in den Recycling-Eimer. Sie würde versuchen, daran zu denken, die Dinger morgen auf dem Weg zur Arbeit im Laden abzugeben. Dreißig Cent waren dreißig Cent. Dann warf sie noch ein Holzscheit in den Ofen und überprüfte die Temperatur. Das Ding heizte bereits auf Anschlag, mehr brachte es nicht zustande. Bevor sie nach oben ging, verharrte sie noch einen Augenblick und betrachtete das verlebte Gesicht der Frau, die ihr das Leben geschenkt hatte. Noch keine fünfzig, aber fett und teigig sah sie aus. Wie die schmuddelige, ältere Schwester des Michelin-Männchens. Gracie steckte in einem verdreckten Old-Navy-Sweatshirt, das zwei Nummern zu klein, und einer ausgeleierten Jeans, die zwei Nummern zu groß war. Ihre Zähne waren braun und fleckig, zumindest die, die sie noch hatte. Auch wenn man die abgebrochenen mitzählte, besaß sie nicht einmal annähernd mehr die vollständige Anzahl. Bitte, lieber Gott, dachte Abby, lass mich nicht so enden wie sie.
Sie ging hinauf in ihr Zimmer und legte die schwarze Hose und die weiße Bluse ab, die sie im Nest immer trug. Sie stellte sich auf die Badezimmerwaage. Nicht schlecht. Wieder ein halbes Pfund weniger. Aber im Spiegel sah sie immer noch aus wie eine fette Kuh. Sie hatte noch einen langen Weg vor sich. Ihre Joggingsachen lagen auf dem Stuhl in ihrem Zimmer. Sie zog alles an, Schicht um Schicht, zum Schutz gegen die
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