AnidA - Trilogie (komplett)
grober, bärbeißiger, dickfelliger Vater weinte wie ein kleines Kind.
»Joris, warum sträubst du dich nur derart dagegen? Du weißt genau, dass deine magischen Fähigkeiten den meinen wahrscheinlich noch überlegen wären, wenn du sie nur hättest ausbilden lassen. Du wolltest dein Erbe nie annehmen. Aber du hast es an deine Kinder weitergegeben – zumindest ...«
»Was ist nun mit Ida?« Joris klang heiser und angestrengt.
»Sie scheint auch nicht den winzigsten Keim einer magischen Befähigung in sich zu tragen«, erwiderte Ylenia. »Das ist mir vollkommen unverständlich. Sie hat mit ihrem Haar und ihren Augen alle Anzeichen einer machtvollen Begabung, und da sie deine Tochter ist, müsste sie zumindest einen Schatten deiner Kräfte in sich tragen, so wie es auch Amali tut. Aber da ist nichts, absolut nichts. Ich kann es mir nicht erklären, außer ...«
»Außer?«, fragte Joris beinahe drohend.
»Ich habe sie die Schale befragen lassen. Ich wollte sehen, wieso die Weissagung mich derart täuschen konnte.«
»Die Weissagung«, stöhnte Joris. »Nicht auch noch dieser faule Zauber, Ylen, ich bitte dich! Mutter war damals schon lange nicht mehr bei klarem Verstand, das weißt du doch!«
»Sie mag dem Wahnsinn nahe gewesen sein, bevor sie verschwand, das ist wohl richtig«, erwiderte Ylenia heftig. »Aber dennoch waren ihre Deutungen der Prophezeiungen, so dunkel und unklar sie auf den ersten Blick auch erscheinen mochten, doch immer wieder mehr als zutreffend. Sie hat gesagt, dass eines deiner Kinder die mächtigste und weiseste Hexe sein würde, die unsere Welt jemals gesehen hat, und dass ihre Kräfte in dunkler Zeit dazu beitragen werden, das Herz der Welt zu erhellen und uns aus Not und Nacht zu führen. Verstehst du, was das für uns alle bedeutet, Bruder?«
Joris schnaubte ungläubig. Ida wagte kaum, sich zu rühren. Was sie hier zu hören bekam, erschütterte alles, was sie sicher zu wissen geglaubt hatte. Ihr nüchterner, rechtschaffener Vater hätte ein mächtiger Hexer sein können, wenn er es nur gewollt hätte, und Albuin, ihr eigener Bruder, würde die Welt retten, denn dass nur er es sein konnte, von dem die Prophezeiung sprach, war doch so deutlich wie das Laken vor ihren Augen!
»Albuin ist für meinen Weg verloren«, sagte Ylenia gerade. »Ich traue dem Grauen Orden nicht. Sie gehen zu leichtfertig um mit den Gaben, die die Schöpfer uns verliehen haben.« Sie seufzte. »Aber wenn er es denn sein soll, der das Herz der Welt wieder findet – gut, dann soll es so sein.«
»Was ist nun mit Ida?«, beharrte der hartnäckige Joris. »Was ist gestern geschehen?«
»Sie ist in die Schale gezogen worden. Irgendetwas hat versucht, sie in eine andere Ebene unserer Realität zu entführen. Eine der Welten neben unserer Welt, wenn du es so willst. Ich erkenne nicht, wie das geschehen konnte. Ida müsste dafür eigentlich zuerst eine Verbindung hergestellt haben zu dieser anderen Welt, oder etwas von ihr hätte zuvor dorthin gebracht werden müssen, damit sie davon angezogen wird. Ich habe nie zuvor erlebt, dass ein magieblindes Geschöpf einen solchen Vorgang anregen konnte.«
Ida hatte genug. Wenn sie sich noch mehr davon anhören musste, würde sie wahrscheinlich für den Rest ihres Lebens keinen ruhigen Schlaf mehr finden. Sie gähnte lautstark und rekelte sich. Die beiden Erwachsenen unterbrachen sofort ihr Gespräch und eilten an das Bett. Zwei besorgte Gesichter beugten sich über sie.
»Wie geht es dir, meine Kleine?«, fragte Joris zärtlich und streichelte ganz gegen seine Gewohnheit über Idas Wange. Ida starrte ihn an wie einen Fremden. Joris' breites Gesicht verzog sich besorgt, und er griff nach ihren Händen. »Kleines, erkennst du mich denn nicht?«, fragte er angstvoll.
Ida musste lachen. »Aber Vater, wieso sollte ich dich nicht erkennen?«
Er atmete erleichtert auf. »Geht es dir gut, Ida?«
Sie setzte sich auf und gähnte herzhaft. »Es geht mir wunderbar. Aber warum bin ich nicht in meinem Zimmer?«
»Erinnerst du dich an gestern?«, mischte sich Ylenia ein, die schweigend neben dem Bett gestanden hatte. Ihre tief liegenden Augen bohrten sich in Idas, und das Mädchen überkam das unangenehme Gefühl, dass ihre Tante genau wusste, dass sie gelauscht hatte.
»Verschwommen«, gab sie widerstrebend zu. »Ich könnte darauf verzichten, Tante Ylenia. Erklärst du mir, was war?«
Die große Hexe nickte unbehaglich. »Aber zuerst solltest du frühstücken, Kind, du musst
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