AnidA - Trilogie (komplett)
Derartiges widerfährt, wie du gestern durch meine Schuld erdulden musstest. Ich hoffe, du verzeihst mir.« Ylenias Augen richteten sich mit großer Eindringlichkeit auf das Gesicht ihrer Nichte. Sie umklammerte das Schmuckstück auf ihrer Brust noch etwas fester. Ida nickte befangen. »Was hast du erlebt, kannst du es mir beschreiben?« Ida starrte auf die schlanken Finger ihrer Tante, die unruhig den verschlungenen Linien des Silberdrahtes folgten, und berichtete stockend, woran sie sich erinnerte. Ylenia hörte schweigend zu und nickte, als Ida die Erscheinung der beiden Gesichter beschrieb.
»Das habe ich auch gesehen«, bestätigte sie. »Aber kurz darauf habe ich den Kontakt mit deinem Geist verloren. Was geschah dann?« Ida runzelte die Stirn vor Konzentration und bemühte sich, ihrer Tante den quälenden Fall durch den schwarzen Strudel zu beschreiben.
»... dann gab es einen Knall, und ich wurde hier im Zimmer wieder wach«, endete sie und sah Ylenia um Erklärung bittend an.
»Ich habe die Schale zerstört«, sagte Ylenia mit einem Zucken ihrer Lippen. »Ein geringer Preis, wenn ich bedenke, dass ich dich sonst hätte verlieren können. Du wärest möglicherweise ganz herübergezogen worden, Kind, und ich weiß nicht, ob ich dich hätte zurückholen können.«
Ida zog die dunklen Brauen zusammen, was ihrem mageren Gesicht den finsteren, störrischen Zug verlieh, den ihre Tante Ysabet so sehr hasste. »Wo wäre ich hingelangt?«, fragte sie fasziniert. »In ein fremdes Land, weit fort von hier?«
Ylenia seufzte und löste ihre Finger von dem Schmuckstück. Die Perlen schimmerten sanft im Licht der Talglampe, und die geschliffenen Steine warfen kleine, blitzende Reflexe auf Idas emporgewandtes Gesicht.
»Nein, sicher nicht«, antwortete sie widerwillig. »Kind, das ist eigentlich nichts, worüber ich mit Nichteingeweihten sprechen darf. Du hast keinerlei magische Begabung, Liebes. Ich wollte dich nach diesem Winter mit mir nehmen, um dich auszubilden. Ich hatte sogar gehofft, du wärest befähigt, einmal meine Nachfolgerin zu werden.« Sie lächelte matt. »Nun, ich werde weiter warten müssen. Es ist nur schade, dass die weißen Fähigkeiten unserer Familie mit mir sterben werden. Dein Vater wollte sie niemals anerkennen, und dein Bruder hat sich der Grauen Bruderschaft zugewandt – daran kann ich nun nichts mehr ändern.«
»Aber hätte er denn überhaupt mit dir gehen können?«, unterbrach Ida, die ihr gebannt gelauscht hatte. »Er ist doch ein Junge.«
»Es ist schon lange nicht mehr so, dass wir nur Mädchen ausbilden«, erwiderte Ylenia geduldig. »Genauso, wie auch die Graue Bruderschaft inzwischen für Frauen offen ist. Es ist mehr die Frage, welchen Weg ein Mensch mit magischer Begabung einschlägt. Die Grauen waren immer der Meinung, dass die strenge Zucht und die Einschränkungen, die die Weiße Schwesternschaft sich auferlegt, nicht wirklich notwendig sind, um die Kräfte der Magie zu beherrschen und zu verhindern, dass Schlechtes daraus entstehen kann.« Sie hob die Schultern. »Ich weiß nicht, ob sie Unrecht und wir Recht haben, oder ob es gar umgekehrt ist. Vielleicht sind beide Betrachtungsweisen berechtigt. Aber ich kann nicht derart leichtfertig mit meinen Kräften umgehen, wie es die Grauen oft tun. Ich habe gelernt, dass jede Handlung Auswirkungen auf alles andere hat und dass es gut abzuwägen gilt, was eine Hexe tut und was sie besser unterlässt.«
Sie lächelte und streichelte über Idas scheckiges Haar. »Aber das ist keine Frage, über die du dir den Kopf zerbrechen musst, meine Kleine. Du bist unbelastet von all dem, freue dich. Es ist manchmal ein schweres Erbe, ein allzu schweres ...« Ihr umschatteter Blick wanderte in die Ferne. Ida wagte kaum zu atmen, von so fremder und strenger Schönheit erschien ihr die Hexe plötzlich wieder. Ylenia beugte sich zu ihr herab und umarmte sie. »Wir hätten uns sicher gut verstanden, du und ich, meine Kleine. Aber du wirst mir immer willkommen sein, wenn du mich einfach nur besuchen willst. Ich würde mich darüber freuen, Anida.«
Ida nickte heftig und verlegen. »Wenn Vater es erlaubt«, sagte sie leise. »Ich weiß noch nicht, was er mit mir vorhat. Er wird mich sicher verheiraten wollen, wenn ich etwas älter bin.« Sie machte ein spöttisches Geräusch. »Nicht, dass das ein einfaches Unterfangen wird«, setzte sie trocken hinzu. »Ich bin nicht gerade das Beispiel einer fügsamen Schönheit. Er wird mir eine ordentliche
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