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AnidA - Trilogie (komplett)

AnidA - Trilogie (komplett)

Titel: AnidA - Trilogie (komplett) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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noch helles Blut und lief langsam über das Handgelenk. Der Ärmelsaum des Mantels war steif und dunkler als der Rest des Stoffes. Jinqx schluckte und reichte mir stumm die rot verschmierte Flasche. Ich zuckte zurück, weniger vor dem schaurigen Anblick, als vor dem Ausdruck der dunklen Augen.
    »Jinqx, es tut mir leid«, stammelte ich. »Ich hatte kein Recht dazu, dir Vorwürfe zu machen. Aber ich habe einfach nicht verstanden, wie du tatenlos zusehen konntest, wie so ein Unglück passiert. Wenn ich die Gabe hätte, so etwas vorherzusehen ...«
    Jinqx hielt mir immer noch reglos die Flasche hin. Ich griff unsicher danach und nahm einen langen Zug.
    »Keine Gabe«, sagte die weiche Altstimme schleppend. »Ein Fluch.«
    Das blieb das Einzige, was wir in den nächsten Stunden sprachen. Wir betranken uns in dem dunklen Stall, der mit jeden Schluck weniger zu stinken schien. Während mein Kopf von dem starken Schnaps zu schwimmen und meine Glieder schwer zu werden begannen, hatte ich das unheimliche Gefühl, dass Jinqx im Gegensatz zu mir immer nüchterner wurde. Ich sackte langsam in mich zusammen, ein weicher Arm hielt mich fest und bettete mich behutsam auf das schmutzige Stroh. Kleider raschelten und fielen weich um mich herum zu Boden. Etwas wurde unter meinen Kopf geschoben, und etwas anderes deckte mich zu. Dann schlüpfte jemand neben mich unter die Decke und zog mich in eine Umarmung. Ich legte meine Hand auf weiches, nachgiebiges Fleisch und meinen Mund auf eine runde, erstaunlich kleine und feste Brust. Und dort schlief ich ein wie ein Säugling, der mitten in einer Mahlzeit vom Schlaf überrascht wurde, sicher und zufrieden im Arm seiner Mutter.
    Als ich die Augen aufschlug, erwartete ich, wieder einmal allein zu sein. Der Platz neben mir war leer, aber Jinqx' Mantel deckte mich immer noch zu. Ich richtete mich auf und hielt dabei stöhnend meinen Kopf fest, der von meinen Schultern zu fallen drohte. »Jinqx?« Meine Stimme war rau und belegt, und in meinem Mund trabten Kamele unter sengender Sonne durch endlosen Wüstensand. Dieser verdammte Schnaps, den Jinqx trank wie Wasser, war erheblich stärker als jeder Synalc, den ich von Cairon kannte.
    Das schwache Licht, das vom Eingang her in den Stall fiel, verdunkelte sich plötzlich, als jemand hereinkam. Ich blinzelte und wiederholte: »Jinqx? Bist du das?« Jinqx setzte sich neben mich und reichte mir eine Schale mit Wasser. Ich nahm sie dankbar entgegen und trank in langen, durstigen Zügen. »Ah, das habe ich gebraucht«, sagte ich aufatmend. »Wenn du jetzt noch eine Kopfschmerztablette hättest ...« Jinqx brummte und zog ein Röhrchen aus der Tasche. Eine kleine grüne Tablette fiel in meine Hand. Ich starrte darauf nieder wie auf eine Erscheinung. Zuerst die Zigs und jetzt das hier – Jinqx schien einen ähnlich weiten Weg hinter sich zu haben wie ich.
    Ich krabbelte unter dem Mantel hervor, und Jinqx schlüpfte hinein wie eine Vogelmutter, die in ihr Nest zurückkehrt. Ich sah ihr Gesicht und ihre Hände im matten Schein des Glühsteins. Sie hatte sich das meiste Blut abgewaschen und ihre verletzte Hand mit einem schmuddeligen Stoffstreifen umwickelt. Ich griff danach, aber Jinqx entzog sie mir unnachgiebig. »Es ist beinahe verheilt«, sagte sie.
    Ich sah sie skeptisch an. Mit einem halben Lächeln wickelte sie den Lumpen ab und hielt mir die verletzte Handfläche hin. Über die Finger und die Handfläche zogen sich zwar zwei hässliche verschorfte Narben, aber Jinqx hatte Recht: die Schnitte waren fast verheilt. Ich starrte sie überrascht an. Sie stopfte das Tuch nachlässig in eine der unzähligen Taschen ihres Mantels. »Bis nachher«, sagte sie, bückte sich unter der niedrigen Tür durch und ging. Ich rappelte mich hoch und lief hinter ihr her, aber als ich aus dem Stall trat, war sie bereits verschwunden.
    In Anbetracht meines Brummschädels, meines revoltierenden Magens und des durchdringend an mir haftenden Stallgeruchs entschied ich, das Frühstück ausfallen zu lassen und stattdessen zuallererst meinen See aufzusuchen, um mich wieder ein wenig präsentabel zu machen. Ich verschlief den halben Tag am Seeufer und wurde nur deshalb noch vor dem Abend wach, weil am Nachmittag ein heftiger Regenschauer niederging, der mich schnell und gründlich aufweckte. Als ich zum Großen Nest zurückkam, herrschte helle Aufregung: die Versammlung der Nestältesten war zu einem Schluss gekommen, und man hatte bereits alles nach mir abgesucht. Mellis und

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