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AnidA - Trilogie (komplett)

AnidA - Trilogie (komplett)

Titel: AnidA - Trilogie (komplett) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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noch etwas dichter aussehen ließ. Ich sah dabei zu, wie die winzige Puppe zum Leben erwachte, und war wieder einmal nahezu gerührt über die Liebe und Sorgfalt, die Jinqx auf das schlichte Spielzeug eines Kindes verwendete.
    Die groben Hände hielten inne, und Jinqx riss den Kopf hoch. Die dunklen Augen verschleierten sich, und während ich fragend in das breite Gesicht vor mir blickte, füllten sie sich mit Tränen. Ich kam auf die Knie und legte meine Hand auf Jinqx' kräftigen Arm, ohne eine Reaktion hervorzurufen. Das dunkle Gesicht war zu vollkommener Reglosigkeit erstarrt, eine undeutbare Maske, in der nur die Augen zu leben schienen, aus denen unendliche, unnennbare Qual sprach. Eine Träne löste sich aus dem Augenwinkel und rann langsam über die hohen Wangenknochen zum Kinn.
    »Jinqx, was ist mit dir?«, fragte ich ernstlich besorgt. Die Sturmkrähe antwortete nicht, nur ein tiefer Atemzug hob ihre Brust. So saßen wir lange Zeit stumm nebeneinander.
    Dann hörte ich Lärm von weit unten. Schrille Stimmen riefen durcheinander, und ein lauter, verzweifelter Schrei durchbrach das Rauschen der Blätter und das Flüstern des Windes. Ich sah von der erstarrt dasitzenden Person an meiner Seite hinab zu der Stelle, von der dieser Schrei gekommen war.
    Die schrillen, erregten Stimmen näherten sich uns nach einer Weile, wurden lauter und verrieten mir auch ohne Sprachkenntnisse, dass da eine Gruppe von Grennach herannahte, die vor Schreck oder Trauer oder einer Mischung aus beidem nahezu rasend waren. Der Lärm verstummte erst, als die Ersten der aus Frauen und Männern bestehenden Gruppe sich uns näherten und Jinqx erblickten. Sie kamen heran und blieben dicht vor uns stehen, die Augen beinahe vorwurfsvoll auf Jinqx gerichtet. Dann teilte sich die Menge, und einer trat vor: ein Grennach-Mann, der einen leblosen, grauenvoll verdrehten kleinen Körper in den Armen hielt. Ich erkannte mit Entsetzen das Mädchen Reillis, das noch vor kurzem so lebhaft den Ast hinabgeturnt war. Es hing zerschmettert und blutig in den Armen des Mannes, der jetzt vor Jinqx stehen blieb.
    Die stämmige schwarze Gestalt an meiner Seite regte sich unmerklich und hob das Kinn. »Sie ist abgestürzt«, sagte Jinqx ohne merkliche Gefühlsregung. Der Grennach-Mann, der unverhohlen weinte, nickte und hob dann in einer verzweifelten, fragenden Geste die Schultern. Jinqx schüttelte sacht den Kopf, und der Mann ließ die Schultern sinken. Er schloss die Augen und jammerte leise und wortlos. Dann ging er an uns vorbei, und der schweigende Zug folgte ihm. Ich sah die Blicke, die Jinqx trafen, und fröstelte. Die Grennach und das tote Mädchen verschwanden aus unserem Blick.
    Bebend wandte ich den Kopf der schwarzen Sturmkrähe zu. »Du hast es gewusst. Du hast gewusst, was passieren würde, und du hast nichts unternommen!« Ich hörte den Vorwurf in meiner Stimme; ich war gleichzeitig wütend und entsetzt und wollte nicht glauben, was geschehen war. Jinqx hätte das Kind warnen können, hätte verhindern können, dass es sich zu Tode stürzte, hatte aber keinen Finger gerührt, um zu helfen. Hatte stattdessen dieses alberne Spielzeug geschnitzt und sich den Bauch von der Sonne wärmen lassen.
    Jinqx sah mich aus trockenen Augen an und schüttelte nur den Kopf, erbarmungslose Härte in den Winkeln des vollen Mundes. »Ich konnte nichts tun.« Die Worte klangen rau und endgültig. Ich knurrte aufgebracht und blickte fort von diesem unmenschlichen Gesicht vor mir. Mein Blick fiel auf eine grobe Hand, die ein scharfes Messer umklammerte. Blut quoll zwischen den zusammengepressten Fingern hervor. Ich schrie erschreckt auf, und Jinqx zuckte zusammen. Die Faust öffnete sich und ließ das blutige Messer auf den Mantel niederfallen. Ein tiefer, beinahe bis auf die Knochen gehender Schnitt, aus dem ein dunkler Blutstrom schoss, zog sich über die Finger der rechten Hand und ein zweiter quer über die Handfläche. Jinqx blickte beinahe gleichgültig darauf nieder, schloss die Faust und steckte sie in die Tasche, als wären die klaffenden, stark blutenden Wunden nichts weiter als unbedeutende Kratzer.
    Ich grub hektisch in meinen Taschen herum und fand ein halbwegs sauberes Taschentuch. »Jinqx, wir müssen das verbinden«, sagte ich, alles andere vergessend. Jinqx schüttelte den Kopf und stand auf. Das Messer klirrte zu Boden. Jinqx hob es auf, wischte es nachlässig am Mantel ab und steckte es ein. Hilflos sah ich zu, wie die kompakte dunkle Gestalt zur

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