Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
AnidA - Trilogie (komplett)

AnidA - Trilogie (komplett)

Titel: AnidA - Trilogie (komplett) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
Vom Netzwerk:
nächsten Leiter ging und geschickt hinabkletterte, ohne die verletzte Hand zu benutzen.
    Überall im Großen Nest herrschte an diesem Tag düstere Bedrückung. Ich hätte niemals gedacht, dass diese freundlichen, fröhlichen Baumbewohner zu einer derart herzzerreißenden Trauer um ein verunglücktes Kind fähig waren, wie ich sie nun in jedem Gesicht sah, das mir begegnete. Um niemandem zur Last zu fallen und ein wenig auch, um in aller Ruhe meine widerstreitenden Gefühle zu prüfen, ließ ich mich auf den Waldboden hinab und wanderte durch die verschlungenen Wurzelgassen. Wieder traf ich Dix, den anscheinend ein ähnlicher Grund hergetrieben hatte. Wir hockten uns bedrückt nebeneinander und teilten uns ein Stück Käse.
    »Ich hatte das Gefühl, dass ich da oben jetzt nur störe«, sagte er nach einer Weile.
    »Wie läuft's mit Mellis?«, fragte ich, um uns auf andere Gedanken zu bringen.
    Er hob die Achseln und grinste schief. »Sie ist großartig«, sagte er aus tiefstem Herzen. »Ich kann immer noch nicht glauben, dass sie sich wirklich mit mir eingelassen hat, Eddy.« Er blinzelte die Rührung fort, die ihn überkommen hatte, und setzte forsch hinzu: »Sie wäre eine echte Attraktion bei Mutter Gans. Dieser Schweif, den sie da hat ...« Er grinste, und ich gab ihm einen festen Knuff. Sein Grinsen wurde noch etwas breiter und unverkennbar unverschämt. »Und was treibst du so? Wo ist eigentlich dein schmuddeliger Freund, der Mensch mit dem strengen Körpergeruch?«
    »Ach, halt den Mund!«, erwiderte ich heftig.
    Dix ließ sich nicht beirren. »Ich muss sagen, dass du mich wirklich überrascht hast, Eddy. Ich bin sogar ein wenig enttäuscht von dir. Mir immer mit dem Verweis auf deine anders gelagerten Vorlieben auf die Finger zu klopfen und dich dann auf dem Absatz umzudrehen, um mit diesem verlausten Exemplar ins nächste Nest zu hüpfen ...« Er schnalzte strafend mit der Zunge und wiegte das Haupt wie eine weise alte Großmutter.
    Ich wusste nicht, ob ich lachen oder ärgerlich werden sollte. »Dix, du bist manchmal wirklich zu dämlich. Was weißt du schon von meinen ›Vorlieben‹, wie du es so dezent auszudrücken pflegst? Aber ich darf dich beruhigen, daran hat sich nicht das Geringste geändert. Solltest du also deine Finger wieder einmal nicht bei dir behalten können, mach ich dich wie gehabt zur Schnecke und überlasse den Rest deiner Mellis.«
    Dix kicherte, und ich umarmte ihn freundschaftlich. Er sah mich von unten herauf mit seinem treuherzigen Dackelblick an und räusperte sich verlegen. »Ich habe deinen Lumpen sammelnden Freund übrigens unten bei den Ställen gesehen«, sagte er betont beiläufig. »Er sah übel aus, muss sich wohl geprügelt haben oder so was, jedenfalls war er voller Blut. Ich hab gefragt, ob ich was für ihn tun kann, aber er hat mich ziemlich kurz abgefertigt.«
    »Bring mich hin.« Ich sprang auf. Dix verdrehte die Augen, wies mir aber den Weg. Vor einem der leeren Ställe, der dem strengen Geruch nach zu urteilen noch kurz zuvor Ziegen oder Schafe beherbergt haben musste, blieb er stehen und deutete stumm in das dunkle Innere. Ich zögerte einen Augenblick und wandte mich dann zu Dix um. »Wenn meine Tante oder Tallis mich suchen sollte, bin ich hier bei Jinqx.« Dix nickte und klapste mir teilnahmsvoll auf die Schulter, ehe er davonstiefelte. Ich blieb noch einen Moment vor dem niedrigen Eingang stehen, dann holte ich tief Luft und tauchte ins Innere.
    Es roch durchdringend nach Mist und den scharfen Ausdünstungen der Tiere, die den Stall bewohnt hatten. Unter meinen Füßen raschelte Stroh. Ich tappte auf eine dunkle Masse zu, die reglos an der Rückwand des Stalles lehnte. Bei ihr angekommen, ließ ich meinen Glühstein aufleuchten. Jinqx knurrte und hob eine Hand, um die geblendeten Augen abzuschirmen. Dunkle Streifen getrockneten Blutes zogen sich über das breite Gesicht, und auch der lange Mantel zeigte große, dunkle Flecken, wo die verletzte Hand ihn berührt hatte. Ich hockte mich neben Jinqx und sagte leise: »Meinst du nicht, es wäre besser, wenn ich dir die Hand verbinde? Du holst dir eine Blutvergiftung, wenn du hier in dem Schmutz hockst.«
    Jinqx erwiderte nichts, schnaubte nur leise und verächtlich. Ich sah verwirrt und angewidert zu, wie die blutverkrustete, schmutzstarrende Hand eine halb geleerte Flasche hob und an die Lippen führte, die inzwischen ebenfalls ein dunkler Rand von getrocknetem Blut zierte. Aus den tiefen Schnitten sickerte immer

Weitere Kostenlose Bücher