AnidA - Trilogie (komplett)
betrat er das Haus. Ida grinste und folgte ihm.
Natürlich fand sich dort niemand. Das Haus lag still und friedlich da, im Küchenherd knisterte ein Feuer, und nichts regte sich außer Martens schweren Schritten, die Zimmer um Zimmer durchquerten. Ida setzte einen Kessel Wasser für Tee auf und ließ sich auf einen Schemel fallen. Sie streckte die Beine aus und ächzte zufrieden. Morgen oder übermorgen würden sie sich auf den Weg machen, um ihren Bruder zu finden. Ihre Heimkehr rückte endlich in greifbare Nähe. Sie vermisste das Gildenhaus und ihre Freundinnen unsagbar. Ein scharfer Stich durchzuckte sie. Dorkas – das war allerdings noch ein bitterer Schluck aus der Kanne.
Das Teewasser kochte, und sie erhob sich, um die getrockneten Kräuter aus dem kleinen Küchenschrank zu holen. Sie öffnete die Tür und erstarrte. »Marty«, rief sie erstickt. »Marty, bitte komm schnell her!«
Der dicke Mann polterte die Treppe hinunter, und sie kniete sich hin, um behutsam den verkrümmten Körper des alten Amos aus seinem Versteck zu ziehen. Sie brauchte sich allerdings nicht mehr vorzusehen, wie sie sehr schnell erkannte. Der alte Mann war ganz ohne Zweifel tot.
Marten rumpelte in die Küche und stand stocksteif da, als er erkannte, worüber Ida sich beugte. Er kniete nieder und ergriff vorsichtig Amos' knotige Hand. Ida sah sein Gesicht und schluckte schwer an den aufsteigenden Tränen. Marten blickte reglos und starr auf den Leichnam nieder. Sein Atem ging schwer, und er schloss krampfhaft seine dicken Finger um die dürre Hand des Toten. Das kochende Wasser zischte ins Feuer. Ida hob den Kessel herunter, dann stand sie am Herd und knetete ihre Hände. Marten hockte zusammengesunken neben Amos auf dem Boden und rührte sich nicht.
Endlich hob er den Kopf und atmete tief aus. Er stand schwankend auf, schob seine Hände unter den Körper des alten Mannes und hob ihn hoch. Ida sah ihm nach, wie er mit dem Toten in den Armen die Küche verließ, und hörte ihn langsam die Treppe hinaufsteigen. Ungeduldig wischte sie sich über die feuchten Augen und kletterte in ihre Dachkammer.
Auf ihrem Bett lag ein gefaltetes Stück Papier. Sie nahm es und wendete es verwundert in den Fingern. Es war nicht an sie adressiert, aber jemand hatte es auf ihr Bett gelegt, also konnte sie es genauso gut öffnen. Sie faltete es auseinander und las, was dort in einer ordentlichen, fremden Handschrift geschrieben stand: »Zu meinem Bedauern habe ich Euch nicht angetroffen, Anida. Ihr habt etwas von Wert in Eurem Besitz, was mich interessiert. Falls Ihr Wert darauf legt, Euren Bruder lebend wieder zu sehen, solltet Ihr Euch damit bald bei mir einfinden. Schafft Euch den Fettwanst vom Hals und kommt zur Zitadelle. Allein.«
»Keine Unterschrift«, murmelte Ida. Sie sank auf ihr Bett und presste eine Hand gegen den Mund. Amos musste die Leute überrascht haben, und sie hatten ihn kurzerhand umgebracht. Aber was hatten sie gesucht?
Schwere Schritte stapften die Treppe hinunter, und die Tür zum Garten wurde geöffnet. Ida ging hinterher und blickte hinaus. Marten stand mitten in einem der frisch umgegrabenen Beete und hob eine Grube aus. Ida trat zögernd aus dem Haus und ging zu ihm. Er verharrte, die Schaufel in den Boden gesenkt, ohne sie anzusehen. Sein rundes Gesicht war starr und ausdruckslos.
»Marten«, sagte Ida hilflos. »Es ist allein meine Schuld.« Sie reichte ihm den Brief. Er nahm ihn und las, dann reichte er ihn schweigend zurück und fuhr fort, Amos' Grab auszuheben. »Marten«, flehte Ida. Er schaufelte weiter und schüttelte schwer den Kopf.
»Du bist nicht schuldig; das ist allein der, der ihn getötet hat«, sagte er schroff. »Geh bitte, Ida, lass mich das hier fertig machen.«
Sie nickte unglücklich und ging zurück in die Küche. Es würde sicherlich nichts schaden, jetzt doch den Tee zu kochen, mit dem sie eben begonnen hatte. Und wenigstens etwas Kaltes zu essen vorzubereiten, damit Marten etwas zwischen die Zähne bekam, wenn er mit seiner traurigen Arbeit fertig war.
Sie saß da, umklammerte den Becher mit Tee und hörte Marten ins Haus kommen und die Treppe hinaufsteigen. Dann kam er langsam wieder herab. Seine Schritte klangen noch schwerer als sonst, als er in den Garten hinausstapfte. Ida hörte Erdschollen in das Loch fallen und dann das dumpfe Geräusch, mit dem die Erde festgestampft wurde. Danach rührte sich lange Zeit nichts. Ida starrte reglos in ihren langsam erkaltenden Tee. Marten betrat die
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