AnidA - Trilogie (komplett)
gemächliche Leben in Sendra und seinen beschaulichen Dörfern.
Nortenne musste noch zehnmal größer sein als Weidenau. Und Tel'krias war im Laufe der Jahre zu einem kleinen Stadtviertel herangewachsen, mit Gasthäusern und Handwerksbetrieben, Krämerläden, Druckereien, Mietställen und Garküchen. Dort lebten durchaus auch Männer, hatte Dorkas ihr erklärt. Aber die Häuser, Geschäfte und Betriebe waren allesamt im Besitz von Frauen, etwas, was auch in einer großen Stadt wie Nortenne keineswegs üblich zu sein schien. Das Gildenhaus selbst lag im Zentrum dieses Stadtviertels, und dorthin würde Dorkas sie bringen.
»Was hältst du von einer Pause?«, brach Dorkas spät am Nachmittag ihr Schweigen. »Ich könnte etwas zu essen vertragen, du auch?« Ida stimmte aus vollem Herzen zu. Mit steifen Gliedern ließ sie sich vom Pferderücken rutschen. Ihre Knie gaben beinahe unter ihr nach, und sie griff Halt suchend nach dem Sattel.
Dorkas fing sie auf und hielt sie fest. »Du bist nicht an lange Ritte gewöhnt, Kind, das habe ich nicht bedacht. Warum hast du nicht früher um eine Pause gebeten?«
Ida sah in das dunkle, freundlich besorgte Gesicht der Frau und schlug verlegen die Augen nieder. Dorkas seufzte ein wenig ungeduldig und klopfte Ida rügend auf die Wange. »Ich verlange nicht von dir, dass du an einem Tag das schaffst, was eine alte Nomadin wie ich in Wochen und Monaten im Sattel gelernt hat. Du wirst es vielleicht auch einmal können, vielleicht aber auch nicht.«
Mit einem Geschick, das lange Übung verriet, versorgte sie zuerst die Pferde und begann dann, ihre Packtaschen auszuräumen. Während sie eine kalte Mahlzeit aus Brot, Käse und geräuchertem Schinken bereitete, sprach sie weiter, ohne Ida anzusehen, die mit schmerzverzerrter Miene vergebens nach einer Sitzposition fahndete, die ihr weniger Qualen bereitete.
»Im Grunde ist es Pech für dich, dass ich die erste Gildenfrau bin, die du kennen gelernt hast.« Dorkas hielt einen Augenblick lang nachdenklich inne und fuhr dann fort: »Nein, das stimmt natürlich nicht. Du kennst Marisa. Glaubst du, dass sie es einen ganzen Tag im Sattel aushalten würde, ohne zu protestieren?« Ida musste lachen. Dorkas sah kurz von dem Schinken auf, von dem sie mit einem gefährlich scharf aussehenden Messer dünne Scheiben säbelte, und lachte.
»Siehst du? Es gibt so viele verschiedene Gildenfrauen, wie es verschiedene Frauen überhaupt gibt. Ich bin eine, die sich für ein Leben im Sattel entschieden hat, weil ich das schon immer am liebsten wollte: reisen, unterwegs sein, möglichst wenig Wände um mich herum ...« Ihre Stimme wurde leiser, und sie verstummte. Das Messer schwebte regungslos über dem angeschnittenen Schinken. Ida sah ihren gedankenverlorenen Blick, und einen Moment lang glaubte sie, das junge Bauernmädchen zu erkennen, das von zu Hause fort und zur Gilde gegangen war, damit sie endlich das tun konnte, wofür sie geboren war.
Dorkas schüttelte leicht den Kopf und ging wieder an die Arbeit. »Andere haben sich für ein anderes Leben entschieden«, setzte sie munter hinzu. »Manche sind Handwerkerinnen und Händlerinnen, oder sie kochen für die anderen Frauen im Mutterhaus, oder sie kümmern sich um die Ausbildung der Mädchen und Frauen, die zu uns kommen – alles, was du dir nur denken kannst. Irgendwo dazwischen wirst du auch deinen Platz finden, Ida.« Sie legte noch einen Kanten Brot und den Wasserschlauch auf das Tuch, das sie auf dem Gras ausgebreitet hatte, und hieß Ida, zuzugreifen.
»Gibt es auch Kämpferinnen bei euch?«, fragte Ida kauend. Dorkas zog die Brauen hoch und sah sie beinahe verdutzt an.
»Wie meinst du das?«, fragte sie.
»Ich meine, kann ich bei euch lernen, mit einem Schwert oder mit dem Bogen umzugehen? Zu kämpfen wie ein –« Sie wurde ein wenig rot. »Wie ein Ritter«, vollendete sie tapfer und biss schnell in einen Apfel, um ihre tiefe Verlegenheit zu verbergen. Dorkas schmunzelte und schälte eine Hand voll Nüsse.
»Wenn du das möchtest«, sagte sie endlich und klopfte sich die Hände ab. »Es sind nicht viele, die sich dafür interessieren, aber es ist nicht so, dass sie nicht gebraucht würden.« Ihre Finger glitten unwillkürlich über die Narbe in ihrem Gesicht. »Viele vornehme Damen finden es ganz besonders schick, sich von einer Gildenfrau als Eskorte und Leibwächterin begleiten zu lassen, wenn sie eine Reise unternehmen.«
Ida schnitt eine Grimasse. Dorkas lachte und stand auf.
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