AnidA - Trilogie (komplett)
seltsam befriedigt.
»Ich möchte nicht ... Bitte, Albi, sag Vater nichts davon. Sag ihm nur, dass es mir gut geht und dass ich ihm schreiben werde, wenn ich in – wenn ich dort angekommen bin. Willst du das für mich tun?« Ihre Augen hingen flehend an seinem Gesicht.
Er sah sie an, als betrachtete er eine vollkommen Fremde. Dann lockerte sich seine strenge Miene, und er lächelte. »Aber sicher, kleine Schwester, sicher werde ich das tun. Aber sieh zu, dass du einen ordentlichen Vorsprung bekommst, er wird sicher wie ein Wilder hinter dir herjagen, wenn er begreift, dass du ausgerissen bist.« Er lachte sein boshaftes Lachen. »Endlich wird er mal auf ein anderes Schäfchen seiner wertvollen Herde wütend sein, nicht auf mich.« Ida sah ihn entrüstet an. Albuin stand auf und klopfte sich die schmutzigen Knie ab. Er blickte mit zusammengekniffenen Augen auf seine Schwester herab und spitzte nachdenklich die Lippen. »Ich wünsche dir viel Glück, Ida, wohin du auch gehen magst. Weißt du, dass ich dich ein wenig beneide?«
Ohne ein weiteres Wort des Abschieds drehte er sich um und ging zum Haus. Ida starrte ihm sprachlos nach. Sie wurde wahrhaftig schon lange nicht mehr schlau aus ihrem Bruder.
~ 5 ~
Lange vor der ersten Morgendämmerung hatte Ida ihr schmales Bündel gepackt und sich aus ihrer Kammer geschlichen. Die Treppe knarrte leise unter ihren Füßen, und die Haustür schien sich noch ein wenig schwerer als sonst in ihren Angeln zu bewegen, als wollte sie sie an ihrem Fortgang hindern. Ida schob sie lautlos hinter sich zu und lief zu den Ställen hinüber, um Kastanie, ihre alte rote Stute, zu holen. Sie hatte darüber nachgedacht, eines der jüngeren, schnelleren Pferde ihres Vaters zu nehmen, aber sich dann doch für das knochige, geduldige Tier ihrer ersten Reitversuche entschieden. Kastanie würde bald ohnehin nur noch das Gnadenbrot erhalten, es war also nicht gar so ein schwerer Diebstahl, den sie ihrer Liste der Verfehlungen hinzufügen würde.
Ihre Augenlider waren schwer und müde, als sie sich außerhalb des Hofes in den Sattel schwang. Es war nun die zweite Nacht, die sie so gut wie ohne Schlaf geblieben war, und bei dem langsamen Schritt, den sie die Stute einschlagen ließ, nickte sie einige Male ein. Das geduldige Tier fand seinen Weg zum Dorf so gut wie alleine und blieb erst an der Tränke auf dem Dorfplatz stehen, um zu saufen.
Ida schrak auf und rutschte aus dem Sattel. Sie ließ ihre geschürzten Röcke hinab und ging zu Marisas kleiner Kate hinüber, hinter deren Küchenfenster schon Licht brannte. Sie klopfte zaghaft an, und wenig später öffnete die alte Hebamme die Tür. Ihr Gesicht leuchtete auf, als sie Idas ansichtig wurde. Sie rief über ihre Schulter ins Haus: »Die kleine Ida ist da, Dorkas. Ich hatte doch Recht!« Sie wandte sich lebhaft dem Mädchen zu und hielt ihr die Tür weit auf. »Komm herein, komm herein. Oh, das ist schön!«
Ida zog gewohnheitsmäßig den Kopf ein und trat in die dämmrige Stube. Das Herdfeuer prasselte, und es roch appetitanregend nach frischem Brot. Ida lief trotz ihrer Aufregung das Wasser im Mund zusammen.
Auf der Bank neben dem Herd hockte Dorkas und zog gerade ihre halbhohen, weichen Stiefel an. Sie blickte von unten herauf in Idas Gesicht und blinzelte spöttisch. »So, du hast dich also entschieden, mitzukommen.« Sie schnürte die Stiefel zu und richtete sich auf. »Ich muss zugeben, ich habe dich unterschätzt. Hast du gefrühstückt?«
Ida verneinte und wurde sofort von Marisa zum Tisch geschoben, wo schon eine deftige Scheibe dunklen Brotes mit Butter und Käse und ein großer Becher Milch auf sie warteten. Dorkas setzte sich ihr gegenüber und schob sich den letzten Bissen ihres Frühstücks in den Mund. »Wie du siehst, hat Marisa fest mit dir gerechnet«, sagte sie kauend und wies mit dem Kinn auf das Holzbrett vor Ida.
Die alte Hebamme kicherte und schob ihre Hände unter die Schürze. »Ich kenne doch meine Kinder«, sagte sie mit einem gewissen Stolz. Ida blickte erstaunt auf. Marisas dunkle Augen ruhten voller Zuneigung auf ihr. »Es ist eine gute Entscheidung, Ida. Du wirst dort glücklich sein, glaube mir.«
Dorkas schnaubte und wischte mit der flachen Hand die Krümel vom Tisch. »Bist du fertig? Ich möchte ein ordentliches Stück von hier fort sein, ehe deine Familie auf die Idee kommt, dir nachzusetzen. Du hast doch bestimmt eine Nachricht hinterlassen, oder sollte ich dich etwa schon wieder unterschätzt
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