AnidA - Trilogie (komplett)
»Brauchst du noch eine Pause oder können wir weiter?«
Ida sprang wortlos auf und half ihr, alles einzupacken. Dorkas musterte sie mit ironischer Anerkennung, sagte aber nichts.
Wenig später saßen sie wieder im Sattel. Ida biss die Zähne zusammen, um ein Stöhnen zu unterdrücken. In dieser Nacht würde sie auf dem Bauch schlafen müssen, so viel stand fest.
Sie übernachteten in einem Gasthaus, das nahe der Grenze zu Seeland lag. Dorkas erklärte ihr ein wenig knurrig, das sei einzig wegen ihr, sie selbst zöge das Schlafen im Freien allem anderen vor. Ida protestierte, aber Dorkas schnitt ihre Worte mit einer barschen Handbewegung ab.
»Wir müssen dafür sorgen, dass du morgen noch reiten kannst, und dafür brauche ich jetzt heißes Wasser. Außerdem wirst du dich nur noch zerschlagener fühlen, wenn du eine Nacht auf dem blanken Boden schlafen musstest. Du bist schließlich nicht daran gewöhnt, du zartes Pflänzchen.«
Der Ton war neckend und durchaus freundlich, aber Ida wurde unangenehm an die Vorwürfe Simons erinnert. War sie denn wirklich so verzogen und verzärtelt? Als sie schließlich auf dem Strohsack lag, war sie Dorkas dankbar für ihre Entscheidung. Die ältere Frau hatte einen Kräuterabsud für ihre wund gerittenen Schenkel bereitet, und danach noch eine scharf riechende Salbe aufgetragen.
»Das dürfte das Schlimmste verhindern«, sagte sie nüchtern. »Wir müssen wirklich zusehen, dass du eine anständige Hose zum Reiten bekommst. Dumm, dass ich dafür nicht vorgesorgt habe. Nun gut, bis Tel'krias muss es jetzt eben so gehen.«
Sie brachen in aller Frühe wieder auf. Ida war überrascht, wie wenig zerschlagen sie sich fühlte. Sicher, sie war ein wenig steif, aber die Schmerzen, die sie gegen Abend geplagt hatten, waren spurlos verschwunden.
Dorkas achtete an diesem Tag darauf, dass sie häufiger pausierten. »Wir haben gestern eine ordentliche Strecke hinter uns gebracht. Ich denke, die Gefahr, dass dein Vater uns noch einholt, ist nicht mehr ganz so groß.«
Ida erschrak. Darüber hatte sie gar nicht mehr nachgedacht, aber das erklärte das erbarmungslose Tempo, das Dorkas am gestrigen Tage vorgelegt hatte.
Die Landschaft, durch die sie ritten, wurde zunehmend flacher, je weiter sie das hügelige Sendra hinter sich ließen. Unzählige Wasserläufe durchzogen das Gelände, kopfweidenbestandene Auen wechselten sich ab mit lichten Birkengehölzen, deren helles Laub schon die ersten herbstlichen Färbungen zu zeigen begann.
Dorkas sprach nicht viel, aber Ida fühlte sich in ihrer Gesellschaft wohl. Bei ihrer letzten Rast hatte die Gildenfrau ihr ein wenig von sich erzählt. Dorkas hatte als Botin und Kurier zwischen der Weißen Schwesternschaft und der Gilde eng mit Idas Tante Ylenia zu tun und schien sie sehr gut zu kennen. Diesem Umstand hatte Ida wohl auch diese unübliche Reisebegleitung zum Gildenhaus zu verdanken, obwohl Dorkas das nicht aussprach.
Sie ritten schweigend durch die grünen Auen von Seeland, überquerten murmelnde kleine Bäche und sahen und hörten nichts als die Silberreiher in den feuchten Niederungen, den endlosen blassblauen Himmel über sich und das sanfte Wehen des Windes, das hin und wieder von dem vereinzelten Schrei einer Seemöwe unterbrochen wurde.
»Wo werden wir übernachten?«, fragte Ida, als der Tag sich dem Ende zuneigte.
Dorkas schrak aus ihren Gedanken auf. »Es gibt ein Sicheres Haus etwa eine halbe Stunde von hier«, sagte sie geistesabwesend. »Wir werden dort auf jemanden warten.« Sie verstummte wieder, und Ida wartete vergeblich auf eine Erklärung dieser Worte.
»Was ist ein Sicheres Haus?«, fragte sie endlich.
»Ein Gasthaus, das – nun ja, wie soll ich es dir erklären?« Dorkas schmunzelte. »Deine Tante wäre wahrscheinlich nicht allzu erbaut, wenn sie wüsste, dass ich mit dir dort übernachten werde. Aber die Wirtin ist eine alte Freundin von mir.« Sie sah die Ungeduld in Idas Miene und schüttelte amüsiert den Kopf. »›Sicheres Haus‹ bezeichnet einen Ort, an dem sich Schmuggler und anderes lichtscheues Gesindel ohne die Gefahr, verraten zu werden, treffen können. Früher waren das auch fast die einzigen Gasthäuser, die Gildenfrauen als Gäste geduldet haben. Wir sind nicht überall willkommen, wie du weißt.« Sie lachte über Idas aufgeregt glänzende Augen. »Aber ich sehe schon, du wirst dich nicht scheuen, dort zu übernachten. Das brauchst du auch nicht, wir werden dort so sicher sein wie in
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