AnidA - Trilogie (komplett)
einem zarten Falter. Das Dunkel hellte sich auf, und die Sterne erloschen wie in der Morgendämmerung eines neuen Tages. Der verhüllte Kopf der Krähe hob sich, und sie schien die anderen Magier anzublicken. »Seht hier Ter'nyoss, die ihre alte Hüterin erkannt hat«, sagte sie leise und öffnete ihre Hand.
Herrad spürte, wie sich die Härchen in ihrem Nacken aufrichteten, als eine Gänsehaut über ihren Rücken rieselte. Sie starrte sprachlos auf die grobe Handfläche der dunklen Magierin und das, was nun darin lag.
Der Erzmagus sprang auf. »Das ist wieder nur ein Trick«, rief er erregt aus. »Das kann niemals das echte Herz des Todes sein! Gebt her!« Er schnappte nach dem Kleinod wie ein Hund nach einer Wurst. Doch ehe seine gichtigen Finger sich um das Herz schließen konnten, schrie er auf und zog die Hand zurück, als hätte er sich an einem lodernden Feuer verbrannt. Er barg die Hand an seiner Brust und ließ sich schwer in seinen Sitz zurückfallen, das Gesicht bleich und schmerzverzerrt.
»Seid vorsichtig«, mahnte die klangvolle Stimme der Krähe. »Ihr dürft nicht vergessen, die Herzen stehen unter Eurem gemeinsamen mächtigen Bann.«
Herrad schüttelte den Kopf. »Das ist unmöglich«, sagte sie beherrscht. »Rumold hat Recht. Das kann nur ein Blendwerk sein. Ihr seid eine mächtige Hexe, Krähe. Ihr täuscht uns mit großer List.«
»Warum sollte ich das tun? Es geht um mein Recht, diesem Rat anzugehören. Was könnte ich also mit einer List erreichen? Seht doch einfach nach, was dort in diesem Kästchen ist. Ist Ter'nyoss noch darinnen, habe ich Euch belogen.«
Herrad senkte ein wenig beschämt den Kopf. »Wir haben uns von unserer Erregung leiten lassen«, sagte sie. »Natürlich habt Ihr Recht. Meine Herren, öffnen wir das Kästchen.«
Das magische Ritual vollzog sich in gespannter Atmosphäre. Der Erzmagus hatte sich zuvor von seinem jungen Ordensbruder ein wenig heilende Kraft spenden lassen und erfüllte nun mit zusammengebissenen Zähnen seine Aufgabe, sichtlich von Schmerzen geplagt. Endlich konnte Herrad das Kästchen öffnen, und alle beugten sich gespannt vor, um hineinzuspähen.
»Es stimmt«, flüsterte nach einer Weile des verblüfften Schweigens der Hochmeister. Er wandte den Kopf und sah auf das Herz des Todes, das immer noch mit unheilvollem Glanz in der Hand der dunklen Hexe ruhte. »Wie ...«, er räusperte sich, »wie habt Ihr das bewerkstelligt? Ist unser Schutzbann denn derart schwach, dass man ihn so leicht durchbrechen kann?«
Herrad schüttelte ärgerlich den Kopf. »Das ist nicht der Fall, Rafiel. Nein, hier ist eine andere Kraft im Spiel, etwas, das wir nicht kennen und nicht recht beurteilen können.« Sie wies auf das Kästchen, in dem immer noch das Herz der Welt lag. »Zeigt uns, dass auch Ter'terkrin Euch gehorcht«, forderte sie.
Die Krähe schüttelte den Kopf. »Das ist mir nicht gegeben«, erwiderte sie ruhig. »Ich bin nicht ihre Hüterin und war es auch nie.« Sie hob die Hand, die das Herz des Todes hielt, und alle blickten besorgt darauf. »Ter'nyoss hat seine alte Hüterin erkannt. Ich bin dennoch selbst erstaunt, dass das Herz des Todes zu mir gekommen ist, denn ich habe kein Recht mehr, es in meinen Händen zu halten. Ihr habt die Herzen von ihrer Hüterin getrennt, und das ist falsch und gefährlich. Ich spüre die Dissonanz in meiner Hand. Sie ist stark, zu stark. Ter'nyoss zürnt.«
Die Oberste Hexe lachte auf. »Welch eine Rede!« Sie deutete wieder auf das Kästchen. »Gut, ich denke, Ihr habt uns bewiesen, dass zumindest dieser Teil Eurer Geschichte der Wahrheit entspricht. Ich habe zwar nie davon gehört, dass der Schwarze Orden das Herz des Todes in seiner Obhut hatte – aber wir wissen ja ohnehin nicht viel über Eure Gemeinschaft. Es ist überraschend genug, dass es den Orden – wie Ihr behauptet – noch immer geben soll.«
Sie wandte sich an die anderen Ratsmitglieder. »Meine Herren, wie lautet Eure Meinung? Die Krähe erhebt Anspruch auf einen Sitz im Rat. Sollen wir ihn zumindest vorläufig gewähren?«
Die Magier schwiegen. Endlich ergriff Rumold das Wort, obwohl seine Stimme immer noch von dem erlittenen Schock bebte. »Ich denke, mit einer vorläufigen Regelung kann ich mich einverstanden erklären. Wir werden diesen Anspruch noch sorgfältiger prüfen müssen – und vor allem sollten wir uns Gewissheit darüber verschaffen, dass der Schwarze Orden nicht erneut darauf aus ist, Unheil zu ersinnen.«
»Wir werden wachsam
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