AnidA - Trilogie (komplett)
ich kenne die Geschichte.« Ida bemühte sich sehr, nicht allzu unhöflich zu erscheinen, aber ihre Stimme verriet ihren Unmut. Dorkas lachte auf.
»Also gut, deine Eltern haben offensichtlich dafür gesorgt, dass du dich in der Historie des Reiches auskennst«, sagte sie spöttisch. »Dann weißt du auch, dass lange Zeit die Grenzen zum Nebelhort gesperrt waren – wenn auch nicht gar so undurchdringlich, wie die Hierarchen hofften. Es hat während der ganzen Zeit einen regen verbotenen Handelsaustausch mit den Bewohnern der verlorenen Provinz gegeben.«
Sie schwieg und reckte gähnend die Arme. Matelda, die endlich ihre wenigen Gäste vor die Tür gesetzt hatte, ließ sich neben der stämmigen Gildenfrau nieder, die ihr mit selbstverständlicher Geste den Arm um die Schulter legte.
»Du musst müde sein, Kind, willst du dich nicht schlafen legen?«, fragte die Wirtin. »Ich habe dir ein Zimmer zurechtgemacht. Wenn du dort die Treppe hinaufgehst, ist es das dritte Zimmer auf der linken Seite.«
Sie legte ihren Kopf an Dorkas Schulter und blinzelte lächelnd zu ihr auf. Dorkas neigte sich zu ihr und küsste sie sanft auf den Mund. Ida fielen beinahe die Augen aus dem Kopf, und sie wandte peinlich berührt den Blick ab.
»Geh zu Bett, Ida«, sagte Dorkas mild. Ida hob den Blick und begegnete den spöttischen grauen Augen. Sie schob sich linkisch aus der Bank, wünschte den beiden Frauen eine gute Nacht und stolperte auf bleischweren Beinen die Treppe hinauf. Hinter sich hörte sie die leisen Stimmen der Frauen verklingen. Sie schloss die Tür der Kammer und fiel nach einer Katzenwäsche mit dem Wasser aus einer großen Tonschüssel auf das niedrige Bett. Durch das kleine Fenster fiel helles Mondlicht, und ein Käuzchen ließ seinen melancholischen Ruf hören.
Ida verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte an die weiß gekalkte Zimmerdecke. Sie fühlte sich sehr weit von zu Hause entfernt. Die Frauen, die unten in der leeren Gaststube miteinander redeten, waren ihr fremder als die Landschaft, durch die sie den ganzen Tag geritten war. Wirre Bilder gaukelten durch ihr schlaftrunkenes Hirn: Graue Reiher, die majestätisch durch die feuchten Wiesen stakten, Weiden, deren silbergrüne Blätter im Wind flirrten, weicher Nebel, der dicht über den grünen Auen hing, und zwei Frauen, die sich küssten und bei den Händen hielten wie ein Liebespaar ...
Sie schlief ein und träumte von schweigenden Booten, die einen schwarzen Fluss hinauffuhren. Im ersten der Boote erkannte sie den blonden Schopf von Albuin, der sein ernsthaftes schmales Gesicht einem hünenhaften, düster gekleideten Mann zuwandte. Überrascht und ein wenig erschreckt erkannte sie das hagere Gesicht mit den kalten grünlichen Augen.
Sie lief neben den Booten her durch hohes, rauschendes Schilf. Graureiher stiegen auf, und eine Unke läutete. Ihre Füße sanken tief in den sumpfigen Grund ein. Sie sah hilflos zu, wie die Boote schweigend an ihr vorüberzogen und im dichten Dunst verschwanden, der über dem schwarzen Wasser hing.
»Simon, warte doch! Albi, ich bin es, so wartet doch auf mich!« Ihre Stimme klang kläglich gedämpft. Der zähe Morast hielt ihre Füße erbarmungslos fest, und sie hob verzweifelt die Hände, während auch das letzte Boot zu einem Schemen wurde und verschwand.
»Simon«, schrie sie und erwachte mit einem Ruck. Sie brauchte einen Moment, um sich zu orientieren. Ihr heftiger Atem war das einzige Geräusch, das in der stillen Kammer zu hören war. Unter ihrer Tür schimmerte kein Licht mehr hindurch, und auch das leise Murmeln der Frauen war verstummt.
Das Mädchen setzte sich auf und schob das schweißfeuchte Haar aus dem Gesicht. Sie stellte die nackten Füße auf den kühlen Holzboden und zog sich die Decke um die Schultern. Die seltsam beklemmenden Bilder ihres Traumes verblassten allmählich. Ida stand auf und blickte in den Hof des Gasthauses. In dem tiefschwarzen Schatten, den die Weide im Mondlicht warf, schien sich etwas zu regen. Ein leiser Hauch zog durch den Fensterspalt und brachte einen kühlen, herbstlichen Geruch mit sich.
Ida zog die Decke fröstelnd etwas enger um den Leib und strengte ihre Augen an. Da, eine Silhouette huschte durch eine Pfütze Mondlicht und verschmolz mit dem Schatten des Hauses. Sie schien seltsam klein für einen Menschen, und ihre Gestalt hatte etwas Eigentümliches. Ida wartete mit schweren Lidern darauf, dass sie wieder auftauchte, aber der Hof lag still und schweigend da,
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