AnidA - Trilogie (komplett)
dich«, befahl die Krähe. Anna zuckte mit den Schulten und hockte sich auf den Boden. Die Magierin nahm vor ihr Platz und griff erneut nach Annas Händen. »Du rufst die Herzen zu dir. Sie müssen folgen, denn du bist ihre Hüterin.«
»Das ist alles?«, fragte Anna verblüfft. »Ich rufe und sie kommen, einfach so? Das ist doch ein Scherz!«
»Nun, wahrscheinlich ist es nicht ganz so einfach – aber das ist das Prinzip.« Die Krähe schmunzelte. »Wirksame Zauber sind oft sehr simpel, das weißt du doch.«
Anna schüttelte den Kopf und lachte ungläubig. »Das wäre aber doch wohl ein wenig zu simpel. Die Herzen stehen unter einem mächtigen Bann. Ich weiß das, ich habe oft genug zusehen müssen, wie er aufgehoben wurde. Das kostet sogar die Oberste Hexe beinahe all ihre Kraft. Und ich soll nur ... rufen? «
»Nur rufen«, bestätigte die Krähe müde. »Glaube nicht, dass das so einfach ist, wie es sich anhört. Du wirst all deine Kraft und deinen Mut dafür brauchen. Aber du bist die Hüterin. Du kannst es.«
»Na«, sagte Anna skeptisch. »Das wäre allerdings ... Nein, ich glaube Euch nicht. Aber was soll's, ein Versuch kostet ja nichts.«
Die Krähe lachte wieder und strich Anna erstaunlich zart über den Kopf. »Du gleichst deiner Großmutter«, sagte sie sanft. »Nicht vom Äußeren her, aber im Wesen. Die Herzen haben gut gewählt.«
Sie stand auf und ging zur Tür.
»Wohin geht Ihr?«, rief Anna erschreckt.
»In die Küche. Ich koche uns Kribb. Du wirst etwas Heißes, Stärkendes brauchen, auch wenn dein Ruf keinen Erfolg haben sollte.« Sie stand da, die Türklinke in der Hand, und sah Anna ernst an. »Sei nicht enttäuscht, wenn es nicht beim ersten Mal klappt. Der Weg ist der richtige, und mit der Zeit wirst du ihn gehen können.«
Die Tür schloss sich hinter ihr, und Anna saß mitten in dem leeren Zimmer und kam sich gleichzeitig lächerlich und ein wenig verloren vor.
»Ach, na gut«, sagte sie schließlich und schloss die Augen. »Was soll schon passieren?«
Ihr Atem war das Einzige, was sie hörte. Ihr Atem und das Rauschen des Blutes in ihren Ohren. Ihr Atem, das Rauschen des Blutes in ihren Ohren und ein leises Summen, das Erwartung ausstrahlte. Hallo?, dachte sie und musste lachen. Wie albern das war!
Sie atmete tief ein und aus und lauschte wieder dem Nichts. Keine Stimme war zu hören, kein Singen, kein Ruf. Nur erwartungsvolle Stille, die fast mit Händen zu greifen war.
Ich bin hier, dachte sie. Hier in diesem seltsamen leeren Raum bin ich. Kommt her zu mir, ich erwarte euch.
Nichts geschah. Anna öffnete die Augen, ärgerlich, dass sie sich auf diesen Blödsinn eingelassen hatte. In der Ecke des Zimmers leuchtete etwas. Anna beugte sich verwundert vor, um die Quelle des schwachen Lichts zu ergründen, aber als sie sich bewegte, erlosch das Leuchten – und dort war auch offensichtlich nichts, was diese Erscheinung hätte hervorrufen können. Mit leiser Neugier schloss Anna erneut die Augen und sandte einen – diesmal wortlosen – Ruf aus. Ein leises Echo schien ihr zu antworten. Wieder versuchte sie, sich geistig auszudehnen, damit sie das andere, das ihr antwortete, erreichte, und wieder hielt ihr Körper sie fest. Ärgerlich darüber rief sie erneut, stärker diesmal und überzeugter von sich selbst.
Kontakt. Blendend, schwarz und weiß zugleich, hell und dunkel, heiß und kalt, schmerzhaft reißend und sanft berührend. Anna schrie und riss die Augen auf. Das Licht war gleißend hell und erlosch im selben Augenblick, da sie die Augen öffnete. Anna keuchte und fiel vornüber auf die Handflächen. Splitter aus dem alten Dielenboden bohrten sich in ihre Haut, aber der Schmerz war willkommen.
Sie setzte sich auf ihre Fersen, barg die Handflächen an ihrem wild schlagenden Herzen und beruhigte ihren Atem. »Nicht noch mal«, murmelte sie. »Das mache ich nicht noch mal.«
Sie erhob sich mit zitternden Beinen und ging zur Tür, um festzustellen, dass sie sich nicht öffnen ließ. »He«, rief sie erstaunt und klopfte mit der Handfläche dagegen. »Krähe. Jinqx! Lasst mich raus!«
Niemand antwortete. Auch weiteres Klopfen und Rufen brachte keine Reaktion. Anna hielt den Atem an und legte das Ohr gegen die Tür, aber aus der Küche drang kein Geräusch zu ihr. Nicht das Klappern von Geschirr oder das Summen des Wasserkessels, kein Prasseln des Herdfeuers, keine Schritte ...
Anna schüttelte den Kopf und ging zu der schmalen Tür, die zum Garten hinausführte. Auch sie
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