AnidA - Trilogie (komplett)
war verschlossen, und auch hier war kein Laut zu vernehmen. Das Fensterchen daneben war zu klein für Anna, um hindurchzukriechen. Sie blickte hinaus und prallte entsetzt zurück. Dort draußen war – nichts.
Es war keineswegs, als blickte man in die Nacht hinaus. Selbst die finsterste, mondloseste Nacht ließ Silhouetten von Bäumen und Gebäuden erahnen, lebte mit Wind und Geräuschen und dem Wissen um Existenz. Das da draußen glich keiner sinnlichen Erfahrung, die sie jemals gemacht hatte, es war keine Farbe, kein Zustand, nichts, das zu dieser Welt gehörte, in der sie aufgewachsen war. Das Einzige, was davon einigermaßen begreifbar war, war das Gefühl von Leere, von Nicht-Existenz ... von reinem, schrecklichem Nichts.
Anna wandte sich ab, weil ihr Entsetzen zu groß wurde und sie den Anblick – oder besser, das Gefühl – der Leere vor dem Fenster nicht mehr aushalten konnte. Ihr Gehirn weigerte sich, den Anblick zu akzeptieren, und ihr wurde übel davon.
Sie hockte sich wieder auf den Boden und fühlte seine tröstliche Festigkeit und Härte unter sich. Der Schock bebte noch durch ihren Körper, und sie zwang sich, ruhig zu atmen. Nach und nach bekam sie ihr Zittern in den Griff.
So sehr es ihr auch widerstrebte, in dieser Situation blieb ihr nichts anderes übrig, als ihren Versuch von vorhin zu wiederholen. Was auch immer dabei geschehen war, es hatte sie in diese Lage gebracht, und der einzige Weg, der sie wieder in ihre vertraute Umgebung zurückzubringen vermochte – das zumindest hoffte sie – führte vorwärts.
Anna seufzte und schloss die Augen, um erneut nach den Herzen zu tasten. Ein überraschtes Keuchen entfuhr ihr, denn etwas hatte sich geändert: Ter'terkrin und Ter'nyoss waren nah – so nah, dass sie glaubte, sie berühren zu können, wenn sie die Hand ausstreckte: zwei glühende, pulsierende Wellen von Energie aussendenden Präsenzen, die stumm nach ihr riefen, sie aufforderten, zu vollenden, was sie begonnen hatte.
Zögernd umfasste sie das Bild mit ihrem Geist, aber der erwartete Schmerz blieb aus. Warm und schwer sank etwas in sie hinein und füllte ihr Inneres, bis sie vergaß, wer sie war. Ohne jedes Gefühl für ihre Umgebung, ihren Körper, ohne Erinnerungen und ohne Wünsche schwebte sie in dem Nichts, in dem weder Raum war noch Zeit verging.
Änderung trat ein. Etwas zog sich zusammen, wurde kleiner, heißer, schwerer, verlagerte den Punkt seiner Existenz, teilte sich, Trennung. Schmerz. Trauer. Anadia. Anna.
Sie schlug die Augen auf, erschöpft wie nach einer übergroßen körperlichen und geistigen Anstrengung. Ihre Hände lagen gefaltet in ihrem Schoß und umschlossen einen Gegenstand. Verständnislos blickte sie darauf hinunter, suchte nach einer Erinnerung an die letzten – Minuten? Stunden? Tage? Oder gar Jahre?
Sie wusste nicht, warum ihr Blick zum Fenster schweifte. Die Sonne ging gerade unter und rötete den Himmel, an dem einige Wölkchen hingen. Wieder blickte sie auf ihre Hände nieder und zwang sich, sie zu öffnen.
Schwarz und weiß.
Hastig deckte sie ihre Hand wieder darüber und sah sich um. »Jinqx!« Ihre Stimme war heiser, als hätte sie sie lange nicht benutzt. Die Tür sprang auf, und die Krähe eilte zu ihr, Besorgnis in der Miene. Sie kniete neben Anna nieder und sah sie fragend an. Die junge Frau öffnete wortlos ihre Hände und ließ die Krähe sehen, was sie hielten.
»Ah!« Die ältere Frau schloss für einen Moment beinahe geblendet die Augen. »Das hatte ich erhofft. Du bist stark, Anna.« Sie griff nach Annas Händen und legte sie sanft wieder übereinander. »Jetzt musst du sie verbergen. Finde einen Ort, an dem du sie wohl behütet mit dir führen kannst. Du wirst gut danach suchen müssen. Hast du die Kraft noch?«
Anna schluckte. Sie begriff, was die Krähe damit sagen wollte. »Ich könnte etwas zu trinken gebrauchen, Jinqx«, flüsterte sie. »Meine Kehle ist ganz wund.«
Die ältere Frau erhob sich und ging in die Küche. Als sie mit einem Becher in der Hand wiederkehrte, saß Anna da, versunken in den Anblick ihrer Hände, die eine so kostbare wie gefährliche Last umfangen hielten. Die Krähe stellte leise den Becher neben ihr ab und ging hinaus.
Anna bewegte sich nicht. Ihre Brust hob sich langsam und gleichmäßig mit ihren Atemzügen, und ihr Blick war fern und leer. Die Last in ihren Händen wurde schwerer, bis sie glaubte, sie nicht mehr halten zu können. Dann, plötzlich, nahm der Druck auf ihre Handflächen ab und
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