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Anidas Prophezeiung

Anidas Prophezeiung

Titel: Anidas Prophezeiung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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Haus zurückzukehren, als eine Bewegung in einem der Schneefelder hoch oben am Berghang ihre Aufmerksamkeit erregte.
    »Noren«, rief sie scharf. Ein dunkler Kopf tauchte hinter ihr im Türrahmen auf, und braune Augen sahen sie fragend an. Ylenia wandte den Blick nicht von dem dunklen Punkt am Hang. »Da oben.« Sie kniff die Augen zusammen. »Schick ein paar Frauen hoch, sie sollen sich das mal näher ansehen.« Noren nickte und verschwand.
    Ylenias Knie gaben unter ihr nach. Sie setzte sich mit gefalteten Händen auf die Holzbank neben der Tür und schloss für einige Atemzüge die Augen. Es konnte unmöglich Ida sein, wie hätte sie die vergangenen Wochen dort oben im Schnee und Eis überleben sollen? Aber wenn sie es doch war, ihr Schöpfer, wenn sie es doch war!
    Die Bergungstruppe brach auf. Ylenia sah ihnen hinterher, ohne zu bemerken, dass ihr dabei die hellen Tränen über die Wangen liefen.

    Die ausgesandten Frauen hatten das Schneefeld gegen Mittag erreicht. Ylenia trat in Abständen vor die Tür und starrte hinauf in den Hang und sah endlich voller Erleichterung, wie ihre Frauen sich um den Fremden scharten. Es schien kein einzelner Wanderer zu sein, erkannte sie enttäuscht, es waren zwei oder sogar drei Menschen, die sich jetzt von den Frauen des Bergungstrupps ins Tal eskortieren ließen. Ylenias Hoffnung zerstob. Das mussten Reisende aus Beleam sein, die den Weg über den Pass verfehlt hatten. Sie seufzte leise auf und ließ sich wieder auf die Bank sinken. Sie sollte jetzt besser der Heilerin melden, dass es sicherlich bald Erfrierungen zu behandeln geben würde.
    Unsichere, schleppende Schritte tappten um die Hausecke. Jemand sank schwerfällig und ohne ein Wort der Entschuldigung neben ihr auf die Bank. Ylenia drehte sich nicht um, sondern wartete darauf, dass die andere Person von selbst erkannte, wie ungebührlich sie sich benahm und wieder ging. Aber nichts dergleichen geschah. Nur das angestrengte Atmen des aufdringlichen Menschen war zu hören.
    Aufgebracht wandte Ylenia sich um, scharfe Worte der Zurechtweisung auf den Lippen, die erstarben, als sie sah, wer da neben ihr an der Wand lehnte, nur halb bei Bewusstsein, mit leeren, entzündeten Augen, blasigen Lippen und Erfrierungen im Gesicht und scheckigem Haar, das wirr und schmutzig unter dem schützend über den Kopf gezogenen Umhang hervorsah.
    »Ida«, krächzte die Weiße Hexe. Sie griff ungläubig nach den Händen der jungen Frau und fühlte halb erfrorene Finger, die ein schmelzendes Stück Eis umklammerten. Sie versuchte sanft, den Griff zu lösen, aber die Finger hielten das Eis fest wie ein Schraubstock. Die erschreckenden, leeren Augen bewölkten sich, aber kein Laut drang aus Idas Mund. Sie schien nicht zu erkennen, wer neben ihr saß. »Noren«, rief Ylenia wieder. »Noren, hol deine Schwester, schnell!«

    Gudren, die beste Heilerin des Ordens, untersuchte Ida gründlich und ordnete dann an, sie ins Bett zu stecken. »Sie hat ein paar böse Erfrierungen, sie ist erschreckend unterernährt und vollkommen verwahrlost. Aber nichts davon ist wirklich gefährlich, das kommt alles mit der richtigen Pflege wieder ins Lot.«
    »Warum war sie so – apathisch?«, fragte Ylenia angstvoll. »Hat sie eine Kopfverletzung oder ...«
    »Nein, nein, keine Angst. Sie scheint unter Schock zu stehen, aber ich denke, wenn sie sich einmal richtig ausgeschlafen und etwas zu essen bekommen hat, wird sie wieder klar sein. Ach übrigens, ich habe es nicht geschafft, ihr das abzunehmen, was sie da umklammert hält. Ich habe ihre Hand sozusagen drumherum behandelt.« Sie lachte ein wenig ärgerlich und erhob sich.
    Ylenia dankte ihr und setzte dann hinzu: »Das hätte ich fast vergessen, Gudren: Du bekommst in einer oder zwei Stunden noch mehr Arbeit. Aber vielleicht kann das auch eine deiner Kolleginnen für dich übernehmen.«
    Gudren winkte nur ab. »Es ist ja nicht so, dass ich neben Idas Bett wachen müsste. Sie braucht mich frühestens morgen wieder, bis dahin können sich gerne noch ein paar Patientinnen bei mir melden. Vielleicht wäre es angebracht, in der Küche Bescheid zu geben, dass Brühe gekocht werden soll. Viel Brühe!«
    Die nüchterne, ein wenig ruppige Art der Heilerin brachte Ylenia endlich ihre verloren gegangene Gemütsruhe wieder zurück. Sie lachte und schob Gudren zur Tür hinaus. Dann ging sie hinüber ins Krankenzimmer. Ida schlief fest und tief. Gudrun hatte die wunden Stellen und Erfrierungen in ihrem Gesicht mit Salbe

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