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Anidas Prophezeiung

Anidas Prophezeiung

Titel: Anidas Prophezeiung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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Ylenias behutsamer Berührung. »Du brauchst noch Ruhe«, sagte Ylenia nach einer Weile. »Schlaf dich aus, iss etwas, und dann, wenn du dich besser fühlst, wirst du mir erzählen, was dir widerfahren ist. Leg dich wieder hin, Ida.« Sie erhob sich.
    Ida, die reglos hinausgeblickt hatte, fuhr herum und griff nach ihr. »Geh nicht, Tante Ylenia!«, rief sie voller Angst. »Du hast noch nicht gesehen, was ich mitgebracht habe!« Sie öffnete ihre Hand und hielt sie in das helle Sonnenlicht, das durch das geöffnete Fenster fiel. Ylenia schloss geblendet die Augen. Gleißend blaue Blitze schossen durch die Kammer und ließen den warmen Sonnenschein fahl erscheinen. Leises Singen lag in der Luft, schwebte für einige Momente über ihnen und verklang. Die Lichterscheinung verblasste.
    Ylenia blickte voller Ehrfurcht auf das funkelnde Schmuckstück in Idas Hand herab. »Das Herz der Luft«, murmelte sie und auf die Bettkante nieder.
    Ida starrte wieder wie hypnotisiert auf ihre Handfläche. »Ich erinnere mich nicht, woher ich es habe. Ich hatte einen Eiszapfen in der Hand, nachdem ich die andere aus der Wand gezogen habe.« Sie sah sich schreckhaft um. »Wo ist sie? Ist sie nicht hier?«
    Ylenia runzelte unbehaglich die Stirn. Nach einer Weile fuhr Ida träumerisch fort: »Der Wolf und der Bär haben mich bis zu der Stelle zurückgebracht, an der der Schnee aufhörte. Ich bin auf dem Bären geritten, das weiß ich noch. Da war ein weißer Falke, der uns den Weg gezeigt hat, aber den kann ich mir auch eingebildet haben. Es war alles unwirklich, wie in einem Traum. Der Kristallpalast ...« Sie verstummte und starrte blicklos vor sich hin. Ihre Finger schlossen sich wieder fest um das Schmuckstück, und ihr Gesicht erschlaffte zu einem leeren Ausdruck.
    Ylenia erhob sich beunruhigt und rief nach Gudren. Die Heilerin sah Ida an und zog eine verdrießliche Miene. »Das sieht gar nicht gut aus«, sagte sie. »Dabei war sie eben noch ganz munter. Was hast du bloß mit ihr gemacht, Ylen?«
    »Ich?«, protestierte die Hexe. »Frag lieber, was sie mit mir gemacht hat!«
    »Lässt sie das Ding immer noch nicht los?« Die Heilerin versuchte, Idas verkrampften Griff um das Schmuckstück zu lösen.
    »Lass sie!«, fuhr Ylenia sie an. »Bring sie wieder auf die Beine, Gudren, das ist wichtiger. Sie hat etwas erlebt, was sich nicht so leicht erklären lässt, deshalb ist sie wahrscheinlich so – so weggetreten.«
    »Wer stellt hier die Diagnosen?«, brummelte Gudren und brachte Ida behutsam wieder zum Liegen. Ylenia ging zum Fenster und blickte hinaus, ohne etwas zu sehen. Sie schlug die Hände ineinander und fluchte lautlos. Kristallpalast, weiße Wölfe, das Herz der Luft ... wie passte das alles ineinander? Was hatte Ida an sich, dass die Feuerelfen ihr das Teuerste anvertraut hatten, was sie besaßen? Woher hatte Ida gewusst, wo sie nach dem verschollenen Herzen der Luft suchen musste, und wieso hatte sie geglaubt, nur einen Tag und eine Nacht fortgewesen zu sein?
    »Schloss und Schlüssel«, wisperte Ida mit seltsam hauchiger Stimme. Ylenia fuhr herum. Die Heilerin stand neben dem Bett und hatte den Kopf nachdenklich schief gelegt.
    »Hüterin der Vielen«, flüsterte die unheimliche Stimme weiter. »Bewahrerin des Einen. Schloss und ...« Die Stimme verklang und Idas Augenlider zitterten. »Wo ist sie? Wo ist der Schlüssel?«, fragte sie laut und deutlich. Ylenia sah Gudren fragend an, die nur ratlos die Hände hob.
    »Sie ist, soweit ich das beurteilen kann, nicht bei Bewusstsein. Aber so einen seltsamen Zustand habe ich noch nie zuvor erlebt. Als wäre sie besessen.«
    Ylenia schob sie energisch zur Seite und nahm Idas Hände, auch die, die sie zur Faust geballt hatte. Sie schloss die Augen und lauschte. »Da ist nichts«, sagte sie nach einigen Momenten erbittert. »Nichts. Nur Ida, wie sie immer ist. Vollständig magieblind und im Augenblick verständlicherweise sehr verwirrt.« Sie sah Gudren hilflos an. Die Heilerin schob ihr eine Hand unter den Ellbogen und zog sie unnachgiebig daran in die Höhe.
    »Lass sie schlafen, Ylen. Lass sie einfach schlafen. Ich denke immer noch, das ist die beste Medizin. Komm, schau dir lieber meine anderen Patienten an. Die Grennach-Frau hat schon nach dir gefragt.«

    Ylenia bestand darauf, zuerst bei der seltsamen Doppelgängerin Idas vorbeizusehen. Sie hatte sie seit dem gestrigen Abend noch nicht wieder besucht und hoffte nun darauf, dass sich die so erschreckende Gleichheit im Licht des

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