Anidas Prophezeiung
Blick. Mein Duplikat hatte mich wahrscheinlich auf den Arm genommen. Na, das würde ich ihr schon noch heimzahlen.
Ida schob mich auf einen Tisch hinten am Fenster zu, und ich bemerkte die neugierigen Blicke, die uns streiften. »Eddy«, schrie eine wohlbekannte Stimme. Am Fenster war ein struppiger kleiner Kerl aufgesprungen und wedelte heftig mit den Armen. Ich kniff die Augen zusammen und winkte zurück. Dix, der krumme Hund. Er schien es besser gepackt zu haben als ich, er sah geradezu erholt aus. Neben ihm saß Tallis, die sich sichtlich wohl zu fühlen schien. Und auf ihrer Schulter hockte meine liebe kleine Freundin Chloe und ließ sich ein riesiges Stück Käse schmecken.
Ich umarmte Tallis, klopfte Dix auf die Schulter und streichelte Chloe respektvoll über den Rücken. Eine herzlichere Begrüßung musste warten, bis sie ihren Imbiss beendet hatte. Chloe hatte strenge Prinzipien, die es unbedingt zu beachten galt, wenn man sich keine bissige Bemerkung einhandeln wollte.
Tallis strahlte mich an. Ich lächelte etwas gedämpfter zurück und setzte mich ihr gegenüber. Wie vorhin bei den Schweinen musste ich den Impuls unterdrücken, einen Blick unter den Tisch zu werfen. War er nur eine Ausgeburt meiner Kopfschmerzen gewesen, oder hatte ich den ominösen Schweif wirklich gesehen?
»Eddy, ich freue mich, dass es dir besser geht«, sagte Tallis und griff nach meiner Hand. »Ich hatte solche Angst, dass dir und Dix der Übergang nicht gelingt.«
Ich begann meine etwas lückenhaften Erinnerungen zu sortieren. Das Lager und meine Zeit dort waren noch immer ein verschwommener Traum, aber darüber war ich nicht böse. »Danke, dass ihr mich rausgeholt habt«, sagte ich etwas verspätet. Dann fiel mir ein, was sie mit »Übergang« gemeint haben musste. Diese seltsame Teleportation, die irgendwie durch die Brosche ausgelöst worden war. Komisch, das schäbige alte Ding sah nicht danach aus, als würde es derart komplizierte und teure Technologie verbergen. Soviel ich wusste, war die Teleport-Technik überhaupt noch nicht so weit, lebende Objekte befördern zu können.
Ich hörte auf, mir meinen immer noch schmerzenden Kopf über Sachen zu zerbrechen, von denen ich nichts verstand, und legte die Brosche in Tallis' Hand. »Mit Dank zurück«, sagte ich verlegen. »Du kannst mir irgendwann mal erzählen, wie du das alles gedeichselt hast.« Dix kicherte, enthielt sich aber jedes Kommentars.
Ida, ein reichlich beladenes Tablett in den Händen, kam an den Tisch und setzte sich neben mich. »Ich hoffe, ich hab dir die richtigen Sachen ausgesucht.« Sie stellte Geschirr vor mich hin. »Ich zeig dir nachher, wo du dir dein Essen holen kannst, wenn du mal alleine hierher kommst.«
Ich nickte dankend. Tallis und Dix starrten abwechselnd von mir zu Ida und waren stumm vor Staunen. »Wenn man euch nebeneinander sieht, ist es sogar noch 'ne Ecke beeindruckender«, sagte Dix schließlich.
Tallis hatte feuchte Augen bekommen. Sie putzte sich die Nase, und dann schob sie die Brosche wieder über den Tisch. »Sie gehört eigentlich dir. Ich habe sie nur für dich aufbewahrt.«
Ida warf einen Blick darauf und zog die Brauen zusammen. »Ich würde das hier nicht so herumliegen lassen«, sagte sie rau. »Das dürfte Tante Ylenia nicht gefallen, wenn sie es sieht.«
»Was würde mir nicht gefallen?«, fragte eine weiche dunkle Frauenstimme direkt hinter mir. Ich drehte mich neugierig um und sprang dann auf, als hätte mich eine Saurierbremse gestochen.
»Großmutter!«, krächzte ich völlig perplex. »Aber wieso ... Wo kommst du her?«
Die Frau sah mich prüfend an und legte eine kühle Hand auf meine Wange. Ich blinzelte unter dem durchdringenden Blick und schüttelte dann verlegen den Kopf. Sie war natürlich zu jung, um wirklich meine Großmutter zu sein. Aber sie sah genauso aus, wie ich Großmutter in Erinnerung hatte. Ich fühlte mich in ihrer Gegenwart wieder wie das kleine Mädchen, das ich damals gewesen war.
»Ich heiße Ylenia«, sagte die Frau und lächelte mich liebevoll an. »Es hat den Anschein, als wäre ich deine Tante, Adina.«
Sie setzte sich ohne Umstände neben mich auf die Bank. Ich war immer noch sprachlos. »Meine Tante«, brachte ich schließlich hervor. »Was soll das heißen: ›meine Tante‹?« Ich schnaubte und wies mit dem Daumen auf Ida. »Als Nächstes wollt ihr mir wohl noch verkaufen, das Duplikat da wäre meine Schwester, hm?« Keiner am Tisch sagte etwas. Meine so genannte Tante und
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