Anidas Prophezeiung
und begann tonlos vor sich hinzusummen.
»Ich will, dass du mich zu ihr bringst«, forderte Ida. Marten führte den Löffel an seine Lippen. Er schüttelte nur knapp den Kopf und schmeckte in aller Ruhe das Essen ab. »Du wirst mich zu ihr bringen«, wiederholte Ida kalt. »Vergiss nicht, dass du für mich arbeitest. Ich will mit ihr sprechen.«
Marten wandte sich sehr langsam um und verschränkte die Arme über dem Bauch. »Was versprichst du dir davon?«, fragte er gefährlich sanft. »Sie wird dich nicht empfangen. Ich riskiere meinen Kopf, wenn ich versuche, dich in die Zentrale zu bringen. Wenn sie Informationen über Albuin hat, werde ich sie dir weitergeben. Was ist los mit dir, Ida?«
Ida fühlte, wie der Zorn in ihr hochzubrodeln begann wie flüssige, kochende Lava. Ein Blitz tauchte die überhitzte Küche in gleißend kaltes Licht, und kurz darauf krachte ein Donnerschlag, der sie beinahe ertauben ließ. Sie ballte ihre Fäuste und holte tief und zitternd Luft. Der fette Mann ließ die Arme scheinbar entspannt an seine Seiten sinken. Seine scharfen Augen ließen Ida keine Sekunde los. Sie stemmte die Handflächen auf den Tisch und stand bebend vor Wut auf. Marten trat einen kleinen Schritt zur Seite und griff wie unabsichtlich nach dem Messer, das zwischen Kartoffelschalen neben dem Herd lag. Ida starrte ihn hasserfüllt an und zwang sich, die Arme vor der Brust zu verschränken.
»Du wirst mich zur Khanÿ bringen, so lautete unsere Abmachung.« Ihre Stimme klang gepresst. »Ich bin dir keine Rechenschaft darüber schuldig, was ich mit ihr besprechen will. Du wirst gut dafür bezahlt, das sollte dir genügen. Sei versichert, dass sie interessiert sein wird an dem, was ich ihr zu verkaufen habe. Wenn du dich allerdings zu sehr um deine kostbare Haut sorgst, dann kann ich Storn fragen ...«
Marten fluchte und stieß das Messer tief in den Tisch, wo es zitternd stecken blieb. Er beugte sich zu ihr und zischte: »Gut, du bekommst, wofür du bezahlst, Lady. Aber die Sache wird teuer, sei dir darüber im Klaren. Kein Freundschaftspreis um der alten Zeiten willen, Prinzessin!«
Sie starrten sich noch einige Atemzüge lang zornig an, dann fuhr Marten mit einem wütenden Ausruf herum und stürzte zu seinem Kochtopf. Er rührte wild darin herum und schimpfte erbittert: »Angebrannt! Du hast es geschafft, jetzt ist alles angebrannt!« Ida stieß einen Laut wildesten Abscheus aus und stürmte aus der Küche.
An diesem Tag wechselten sie kein Wort mehr miteinander. Das Gewitter tobte sich über dem Haus aus und zog dann nach Norden ab. Gegen Abend hörte es auf zu regnen, und die Luft roch wieder frisch und kühl. Ida hatte nichts von dem angerührt, was Marten gekocht hatte, so verlockend es auch roch. Sie war erst am späten Nachmittag in die verlassene Küche zurückgekehrt und hatte sich Brot und etwas Käse geholt. Die Nacht verbrachte sie auf einem der Strohlager im Erdgeschoss. Marten hatte sich mit einem Krug in seine Kammer zurückgezogen und sorgte dort wahrscheinlich für seinen abendlichen Vollrausch.
Ida schlief schlecht in dieser Nacht. Sie wälzte sich auf ihrem raschelnden Lager von einer Seite auf die andere und rang mit ihrem Entschluss, das Oberhaupt der Organisation aufzusuchen. Wäre es nicht klüger, nach Nortenne zurückzukehren und gemeinsam mit ihren Gildenschwestern nach dem Umschlagplatz für die erbarmungswürdige menschliche Ware zu suchen?
Sie seufzte und drehte sich auf die andere Seite. Das Stroh roch ein wenig muffig, es war feucht geworden und hätte längst ausgewechselt werden müssen. Ob sie hier manchmal ihre Gefangenen übernachten ließen, wenn die Grenze geschlossen und der Weitertransport zu gefährlich war?
Sie wusste nicht, wo sie anfangen sollte. Nortenne und seine Umgebung, das war eine viel zu vage Angabe für eine erfolgreiche Suche nach dem bewussten Sammelpunkt. Es konnte ein unauffälliger Bauernhof sein, ein Gasthaus, ein beliebiger Lagerraum. Womöglich hatte Storn sich geirrt, und der Umschlagplatz befand sich an einem ganz anderen Ort in der Hierarchie. Nein, ihre einzige Chance bestand darin, sich dieser skrupellosen Menschenhändlerin zu stellen und darauf zu hoffen, dass sie im Gespräch mit ihr einen Hinweis erhielt, der es ihr ermöglichen würde, der Khanÿ und ihren Spießgesellen das Handwerk zu legen. Sie musste sich gut überlegen, mit welcher Geschichte sie an diese Furcht erregende Frau herantrat. Vielleicht sollte sie die, die sie Storn
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