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Animal Tropical

Animal Tropical

Titel: Animal Tropical Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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Champignoncreme, Roastbeef, Salat, Toast, Rotwein, Früchte. Die Stille des Viertels, zudem das Licht und die Sonne des Sommers. Ehe ich mich zu Tisch setze, schenke ich mir ein Glas Wein ein, lausche der Symphonie und sehe aus dem Fenster. Immer wieder schweift mein Blick zum Friedhof. Er ist der Frieden. Von hier kann ich ihn ganz sehen und sage zu ihr:
    »Dieser Friedhof ist wunderschön.«
    »Gefällt er dir? Ich dachte, du hasst den Tod.«
    »Er zieht mich an, und ich fürchte ihn. Ruhe und Frieden. Gemütsruhe und Leere. Das Nichts. Anfangs ist man bestürzt angesichts des Nichts.«
    »Ich freue mich, ihn hier so nah am Haus zu haben. Im Winter, wenn er ganz verschneit ist, ist er wunderschön. Alles weiß und grau. Schnee und Steine.«
    »Ich finde ihn perfekt. Steine, Erde, Rasen, Bäume und Wind. Das ewige Gleichgewicht: Erde, Luft, Feuer und Wasser. Verstehst du, Agneta, wie viel Schmerz mit dem Tod verschwindet und wieder neu geboren wird? Der Schmerz bildet einen Teil unsres Geistes. Erzeugt das Gleichgewicht.«
    Ich küsse sie auf den Kopf. Streichele sie sanft.
    »Weißt du, was geschieht, Agneta?«
    »Nein.«
    »Es ist das Gesetz des Überlebenden. Das Gleichgewicht dieses Friedhofs bezaubert mich. Mir gefällt es, zu wissen, dass er existiert und dass er da ist. Aber wir leben weder auf Friedhöfen noch in der Ewigkeit. Dieses Stück Zeit oder Ewigkeit, das sich Leben nennt, ist brutal, wild und schmerzhaft. Und man muss überleben. Wie auch immer. Muss die Krallen schärfen und die Zähne zeigen. Man muss sich verteidigen und kämpfen.«
    »Du bist ein bisschen aggressiv.«
    »So viel wie nötig.«
    »Manchmal ist der Ort, an dem man wohnt …«
    »Immer. Er ist entscheidend. Du kannst dir nicht vorstellen, wie es ist, auf andere Art zu leben. In einem sehr armen Land. Ohne Arbeit, mit sehr wenig Geld; es gibt nichts zu essen, es gibt keine Lösung, Tag für Tag musst du ein paar Dollars auftreiben, koste es, was es wolle. Die Armut ist ein Teufelskreis. Eine Falle. Moral und Ethik sind eine schwere Last, deswegen schiebt man sie zur Seite und hat die Hände wieder frei. Zum Kämpfen. Mit Krallen und Zähnen.«
    »Das würde ich genauso machen.«
    »Klar. Jeder, der kein Wasser in den Adern hat.«
    »Komm jetzt, lass uns essen. Die Champignoncreme wird kalt.«
    Sie tut mir auf. Ich probiere sie.
    »Hmmm, köstlich. Wenn du willst, bist du eine gute Köchin.«
    »Danke. Wenn du willst, bist du ein Gentleman.«

22
    Eine Galerie in Göteborg wollte eine Vernissage veranstalten, um vier Maler zu präsentieren. Darunter sollten zehn Bilder von mir sein. Ich setzte alles daran, um persönlich dort anwesend zu sein, eine Show abzuziehen und die zehn Bilder zu verkaufen. Ich konnte unmöglich mit leeren Taschen nach Kuba zurückkehren. Die Zugverbindung von Stockholm nach Göteborg war direkt und schnell. Doch mit einem hatte ich nicht gerechnet: Mein geliebtes Frauchen war nicht bereit, seine Beute loszulassen.
    »Ach, Pedro Juan, wir können im Auto hinfahren. Ich fahre.«
    »Es ist ziemlich weit. Du wirst müde werden. Und dann im Sommer, der ganze Verkehr und die Unfälle. Nein, nein!«
    »Es ist nicht weit, und ich werde nicht müde werden. Aber … wenn du nicht willst, fahr ruhig allein. Ganz, wie du wünschst.«
    Sie zieht ein Gesicht irgendwo zwischen beleidigte Leberwurst und traurig und schweigt sich aus. Verdammt noch mal, dieses Weib klebt an mir wie eine Laus vom Amazonas. Ich gebe ihr ein Küsschen und streichele sie.
    »Schon gut, Schätzchen, schon gut. Mach nicht so ein Gesicht. Wir fahren beide. Okay.«
    Und sofort teilt sie mir ihren Plan mit. Sie hatte sich schon alles genau überlegt! Was für ein schlaues Luder sie doch ist.
    »Schön, wenn du willst, fahren wir morgen früh los und übernachten auf halber Strecke bei Freunden von mir. Sie haben einen Bauernhof in einer sehr schönen Gegend voller Wälder. Es wird dir gefallen.«
    Sie ruft ihre Freundin an, um unsere Übernachtung anzukündigen. Nach einer Irrfahrt über kleine Landstraßen und Wege durch riesige Wälder kommen wir am Abend auf dem Bauernhof an: Er ist wunderschön wie ein Spielzeug, weiß und rot bemalt. Agneta hatte mich kurz über die Situation unterrichtet:
    »Margaretha war vor Jahren einmal Pressefotografin und verheiratet mit einem dicken Proleten voller Tätowierungen. Man munkelte, er habe viele Jahre im Knast gesessen. Sie hatten zwei Söhne, aber niemand verstand diese Ehe. Schließlich ließen sie sich

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