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Animal Tropical

Animal Tropical

Titel: Animal Tropical Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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alle. Auch noch nackt …«
    »Es haben dich schon alle gesehen. Du, in allen möglichen Situationen, und darunter ein sehr poetischer Text, sehr kurz. Du bist eine Muse.«
    »Was ist das?«
    »Ahhh … weiß nicht … eine Inspiration.«
    »Ach, ich bin Künstlerin, Schätzchen.«
    »Bettkünstlerin.«
    »Sei nicht vulgär, Kleiner. Tänzerin. Aber mein Vater hat mich da wieder rausgeholt. Er sagte, ich würde da nur zur Lesbe werden.«
    »In jedem Fall zur Hure.«
    »Ach, was weiß ich. Er hat halt so seine Vorstellungen. Mein Ding ist der Tanz. Und deins Boleros singen?«
    »Ich singe falsch.«
    »Hoffentlich kann ich weiter tanzen. Willst du wirklich dieses Fotobuch machen?«
    »Klar. Ich habe jetzt eine Kamera, und ich habe dich.«
    »Meine Cousine will, dass ich mit ihrem Grüppchen im Palermo auftrete. Wirst du mir das erlauben?«
    »Mal sehen. Ich bin gerade erst angekommen. Dräng mich jetzt nicht.«

2
    Eines Abends so gegen acht ruft mich Carmita an. Sie wohnt in Lawton und fühlt sich einsam. Mit ihrem letzten Ehemann hielt es acht Monate. Dann ertrug sie ihn nicht länger. Seit einigen Jahren haben wir ein lockeres Verhältnis. Sie taufte mich »Goldschwanz«. In der ersten Nacht, in der sie zu mir aufs Dach kam, trank sie ein bisschen Rum, wir küssten uns, ich berührte sie, sie stimulierte mich, sie ließ ihre Hände runterwandern, und als sie spürte, wie steif er war, ging sie aufs Ganze: Sie riss den Reißverschluss meines Hosenschlitzes auf und zog ihn an die frische Luft. »Oh, wie hübsch. Das ist ja ein Goldschwanz!« Sie erzählte es in ihrer ganzen Familie in Lawton herum: »Ich bin mit einem Kerl in Zentral-Havanna zusammen, der hat einen wunderschönen Schwanz, einen Schwanz aus Gold.« Ich fahre nicht gern nach Lawton. Ihre Familie besteht aus über dreihundert Personen, aus Weißen, Mulatten, hellhäutigen Mulatten, Negern, Indios. Immer, wenn wir einander treffen, begrüßen sie mich verschmitzt. Auf alle Fälle ging es nicht lange, weil Carmita darauf bestand, die Dachterrasse zu nutzen, um Hühner und Schweine aufzuziehen. Unverzüglich fand sie die Schwarzmarktpreise für Futter heraus, besorgte sich Maschendraht für die Käfige und kaufte zwanzig Küken. Nur unter größten Anstrengungen konnte ich sie aus dem Haus schmeißen und mich von den Schweinen und Hühnern befreien, die mir die Dachterrasse zukackten.
    Wir blieben weiter befreundet. Jedes Mal, wenn sie mit einem ihrer Männer Schluss macht, fühlt sie sich einsam und ruft mich an. Jetzt heult sie mir dieselbe Litanei wie immer ins Ohr:
    »Ach, Pedro Juan, alles lief so wunderbar, aber dann wurde er richtig frech und verlangte viel zu viel.«
    »Verlangte was?« .
    »Dass ich im Haus bleibe. Er wollte wissen, wohin ich gehe, und mich überwachen, eifersüchtig wie ein Hund. Nein, nein, ich bin sehr alt und will nicht, dass jemand mich dauernd kontrolliert.«
    »Du hast keine Geduld mit den Männern.«
    »Du hast auch keine Geduld mit den Frauen. Sieh nur, was dir mit mir passiert ist.«
    »Wir sprechen jetzt über dich, Carmita.«
    »Es ist immer dasselbe. Sie fangen an mit viel Liebe, und wir vögeln viermal am Tag. Ach, wie ich dich liebe, Carmita, und das wird immer so bleiben. Dann schlaffen sie nach und nach ab und verfallen in Routine …«
    »Und du erträgst keine Routine und Langeweile.«
    »Nein. Ich brauche Emotion. Genügend vögeln, Romanze, Besäufnis, Musik, die Boleros, die Abenteuer des Lebens. Ach, Pedro Juan, ich tauge nicht fürs Alter!«
    »Du wirst eine unwürdige alte Dame sein. Wie so viele andere. Es gibt so einige davon auf der Welt.«
    »Glaubst du? Wie es aussieht, werde ich nie das Haupt beugen können.«
    »Also, versuch es mal mit mehr Intelligenz und weniger Emotion. Denn sonst bist du am Ende allein und alt und …«
    »Um Himmels willen, mach mir keine Angst!«
    Ich höre sie ins Telefon hineinschluchzen. Ein Weilchen schweige ich. Sie soll ihrem Kummer freien Lauf lassen. Das tut sie; immer weiter und weiter und weiter. Schließlich unterbreche ich sie: »Carmita, warum weinst du?«
    Sie schnäuzt sich ein bisschen die Nase und erwidert mir: »Ich fühle mich schlecht, Pedro. Fühle mich ganz alt und allein. Ich bekomme Falten. Immerhin habe ich kleine Brüste, die nicht hängen.«
    »Du bist wirklich ein unreifes Ding. Glaubst du denn, du wirst ewig wie ein junges Mädchen aussehen? Du musst dich an all das gewöhnen. Es sind die Jahre.«
    Wieder fängt sie an zu schluchzen. Noch stärker.

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