Animal Tropical
Agneta, Geld. Das interessiert sie. Die Leute vergessen alles und verblöden, wenn es ums Geld geht. Sie haben Angst und glauben, Geld sei Balsam. Man macht ihnen Angst, um sie unter Kontrolle zu halten. So wie es böse Eltern mit kleinen Kindern tun.«
Agneta hustet wieder. Seit gestern geht das so. Sie sucht Tabletten im Arzneikästchen im Badezimmer. Findet sie. Liest und überlegt, ob sie sie in die Tasche stecken soll oder nicht.
»Ich habe nur diese hier. Sie sind sehr, ähhh…«
»Stark …«
»Genau. Stark. Sogar das Sprachvermögen wird …«
»Betäubt. Das sind Betäubungsmittel.«
»Ja. Genau.«
»Nimm das Schweinezeug nicht ein. Was du brauchst, ist noch ein anständiger Stoß am Abend.«
»Ein was?«
»Stoß. Mit dem Schwanz. Durch. Mittels. Ihn einführend. Genießend.«
»Oh, Slang!«
»Ach, verdammt! Ja, Liebes, Havanna-Slang. Ein guter Stoß löst viele Probleme. Zumindest verscheucht er dir Krankheiten, schlechte Laune, Traurigkeit, Depression, Schnupfen, lässt dich vergessen, dass du kein Geld hast.«
»O ja, das glaube ich, das glaube ich.«
6
Der Morgen vergeht langsam, und ich höre immer wieder eine Platte von Jeff Buckley. Draußen sind 25 Grad, und ich sonne mich auf dem Balkon, während im Ofen ein Huhn brät. Hinter dem Haus ist ein kleiner Friedhof mit einer Kapelle. Hin und wieder kommt jemand und legt Blumen auf ein Grab. Aber meist ist er verwaist. Nur die riesigen alten Bäume, der grüne Rasen, die unauffälligen, einfachen Gräber und die Einsamkeit. Sehr verschieden von den katholischen Friedhöfen mit ihrem absurden Luxus ihrer Marmorsteine und Skulpturen und ihrem Stolz post mortem, die alle Verwesung und die Ekelhaftigkeit von Leichen und Würmern überdecken sollen. Mir gefällt es, diesen so friedlichen Friedhof zu betrachten und diesem langsamen, traurigen Rock zu lauschen.
Um zwölf kommt Agneta zurück. Wir essen zusammen zu Mittag, mit einem sehr guten Rotwein aus Navarra. Rund, vollmundig, perfekt. Agneta will ein Glas Milch.
»Wenn du zu dem Huhn Milch trinkst, kann dir das schlecht bekommen.«
»Warum?«
»Der Wein unterstützt die Verdauung.«
»Nicht um diese Uhrzeit. Ich muss zurück zur Arbeit.«
So ist sie. Jedenfalls genießen wir das gemeinsame Mittagessen. Dazu hören wir Jeff Buckley.
»Magst du ihn?«
»Ja. Du hast gute Musik, Agneta.«
»Es ist lange her, seit ich diese Platte zuletzt gehört habe. Mit fünfundzwanzig hat er sich das Leben genommen.«
»Oh.«
»Ich habe die Platte wegen eines einzigen Songs gekauft: Lilac wine.«
»Und jetzt willst du nicht mal wine trinken.«
»Hahaha.«
»Umso besser, da bleibt mehr für mich.«
Einen kurzen Moment bin ich nachdenklich. Freitod mit fünfundzwanzig Jahren. Der Typ muss gelitten haben.
»Man muss gut auf sich Acht geben, Agneta. Man tut es zwar in der Regel, aber die Möglichkeit ist immer da.«
»Welche?«
»Sich eine Kugel in den Kopf zu jagen.«
»Oh.«
»Manchmal ist es schrecklich. Das Rohmaterial des Künstlers ist sein eigenes Leben. Das ist der Wahnsinn. Ein Schriftsteller, beispielsweise, muss seine eigene Scheiße aufwühlen. Und daraus zieht er dann was.«
»Das kann ich mir vorstellen.«
»Ein normaler Mensch lässt die Scheiße trocknen. Und vergisst sie. Ein normaler Mensch vergisst alle Scheiße seines Lebens. All die, die man ihm angetan hat, und die, die er selbst fabriziert hat. Er lässt die Scheiße ablagern und trocknen, und dann stinkt sie nicht mehr. Ein Künstler hingegen macht diese Scheiße zu Rohmaterial. Baustoff. Er macht daraus Skulpturen, Bilder, Songs, Romane, Gedichte, Märchen. Und alles stinkt nach frischer Scheiße.«
»Oh, Pedro Juan, warum sprichst du so?«
Angewidert schob Agneta den Teller weg. Ich sprach mit geschlossenen Augen und trank nur Wein. Ich hatte genug Huhn mit Knoblauch gegessen. Wollte nichts mehr. Ich öffnete die Augen. Sah, wie sie sich ekelte. Schloss die Augen wieder. Sprach weiter:
»Die Sache ist nicht die, ob man sich in die Schläfe ballert. Du kannst dir eine Kugel verpassen, und das war’s. Wenn du’s echt nicht mehr aushältst. Aber nicht so jung. Erst musst du stänkern. Anstänkern gegen diese Arschlöcher. Dass sie mich ertragen müssen. Dass ihnen nichts anderes übrig bleibt, als meine Bücher zu ertragen und auf meine Mutter zu fluchen. Dann werde ich schon sehen, was ich mache. Bestenfalls gebe ich mir auch dann keine Kugel. Und vögele fröhlich weiter. Bis ich neunzig bin. Oder
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