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Animal Tropical

Animal Tropical

Titel: Animal Tropical Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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Gewicht der Intensität würde uns zermalmen.
    Wir kehren zurück ins Landhaus. Alle setzen sich auf die Veranda, um noch etwas zu trinken. Agneta und ich verdrücken uns in den Gemüsegarten und die Gewächshäuser hinter dem Stall. Erkunden ein wenig den alten Stall und das verlassene Häuschen. Alles staubbedeckt und voller Spinnweben, die vielleicht aus den letzten hundert Jahren oder von noch früher stammen. Rustikale Tische und Stühle, grobe und einfache Küchenutensilien, eine ungeheuer antike Orgel mit Pedalen. Wir betreten das Gewächshaus. Erstickende Hitze und Feuchtigkeit. Da wächst eine wunderschöne tropische Pflanze mit Dutzenden von Blüten. Von verblüffender Schönheit. So unglaublich, dass sie überhaupt nicht echt wirkt. »Ob sie vom Amazonas stammt?«, fragte ich. »Das glaube ich nicht. Sie reisen viel nach Asien und Afrika«, erwiderte mir Agneta. Ich trat an die Pflanze heran. Vielleicht war sie Fleisch fressend? Sie war absolut schön, phosphoreszierend, magisch, mit unglaublichen Farben. Wie eine Falle für Leichtsinnige. Ich hatte das Gefühl, sie könnte sich in jedem Moment in einen Riesenschlund verwandeln und mich in einem Happen verschlingen. Aber ich wollte sie auf jeden Fall berühren. Ich strich ein bisschen die Schösslinge zurück. Und da kamen dann auf einmal unter all dem Dickicht aus Sprossen, Blättern und Blüten Schlangen hervorgekrochen. Ruhig, ohne Hast krochen sie in alle Richtungen. Nicht so groß wie Boas, aber auch nicht gerade klein. Verdammt! Ich sah zu, dass ich rauskam. Agneta kam hinter mir her und lachte sich kaputt. Sie schloss die Tür zum Gewächshaus und rief mich, damit ich sie mir gefahrlos hinter Glas ansehen konnte.
    »Sie sind nicht gefährlich. Komm.«
    »Scheiße! Ich hatte keine Ahnung, dass es in Schweden Schlangen gibt.«
    »Sie sind nicht giftig.«
    »Was weißt du über Schlangen, Agneta?«
    »Ich weiß es.«
    »Theoretisch.«
    »Ach, ja … sieh nur, da sind noch mehr.«
    Ich sah durch die Glasscheibe. Es kamen noch mehr hervor. Unter der tropischen Pflanze war ein riesengroßes Nest. Ich zählte sie. Vierzehn Schlangen. Jede davon einen Meter lang. Einige sogar noch länger. Träge krochen sie hervor und versteckten sich in anderen Ecken.
    »Sie sind betäubt von der Wärme.«
    »Gibt es in Kuba Schlangen?«
    »Natürlich. Nattern und Boas. Vor allem Boas.«
    »Giftige?«
    »Nein. Boas werden ziemlich dick und sind dann sehr schmackhaft.«
    »Argh.«
    »Hahaha. Ich habe sie selbst zubereitet. In den Zuckerrohrplantagen, als ich Zuckerrohr schnitt.«
    »Oh, ja, ist das denn eine Tradition oder so …?«
    »Von wegen Tradition. Hunger. Zwölf Stunden Zuckerrohr schneiden, manchmal noch länger. Und zu essen hatte ich ein bisschen Maismehl und zwei Löffel Bohnen. Wenn man eine Boa fing, war das ein Fest. Ich war immer derjenige, der sie zubereitete.«
    »Hm, wer hat dir das gezeigt?«
    »Der Hunger. Er war der beste Meister. Wenn du in einem Monat zehn, fünfzehn Kilo abnimmst … Einmal entdeckten wir eine Boa. Wir fingen sie im Zuckerrohrfeld, und niemand wusste, wie man sie zubereitete. Da dachte ich: ›Verdammt noch mal, das ist Fleisch.‹ Und da hörte ich mich sagen: ›Ich weiß, wie. Mein Vater hat’s mir gezeigt.‹ In Wirklichkeit gruselte sich mein Vater fürchterlich vor diesen Schlangen, aber ich konnte die Leute überzeugen. Von da an war ich Küchenchef für Boas. Und alle vier, fünf Tage fanden wir eine.«
    »Du erzählst doch dauernd Lügen. Wie kommst du darauf, in einer solchen Situation von deinem Vater zu sprechen?«
    »Das sind keine Lügen. Das ist Inspiration. Überlebensgeist. Katzen konnte ich nie ausstehen. Doch essen konnte ich sie. Katze mit Kartoffeln und pikanter Soße. Aber gekocht wurde sie von anderen.«
    »Argh … das glaube ich nicht.«
    »Was glaubst du, was wir für Hunger hatten, Agneta. In den Sechzigerjahren mussten wir furchtbar hungern. Jungs von sechzehn bis zwanzig Jahren, die wie die Wilden Zuckerrohr hackten und nur ein paar Gramm Maismehl und Bohnen aßen.«
    »Konntest du nicht protestieren?«
    »Beim Militär wird nicht diskutiert.«
    »Wurdest du nicht krank beim Essen dieser Schweinereien?«
    »Nein. Im Gegenteil. Ich war kräftiger als jetzt. Den ganzen Tag über arbeiteten wir wie Maultiere, und nachts gingen wir aus und vögelten Kälber oder Stuten. Und an den Sonntagen boxten wir stundenlang ohne Pause. Einmal schlug ich zwei nacheinander k. o.«
    Entrüstet oder angewidert verzog

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