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Animal Tropical

Animal Tropical

Titel: Animal Tropical Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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Resonanz. Schallte wie eine Lawine großer Steine, die einen Abhang herabstürzten und aneinander prallten. Ein Peitschenknall aus Licht. Eine Sekunde lang sah man durch die große Fensterfront des Wohnzimmers die schwarzen Wolken. Und von daher drang der dumpfe, trockene Donnerhall. Ein paar Sekunden Stille und Dunkelheit und erneut der Peitschenknall aus Licht und der widerhallende Donner. Es begann zu regnen.
    Seit drei Tagen bade und rasiere ich mich nicht. Ich rieche an mir, aber nichts. Ich muss mich riechen, aber das ist hier schwer. Ich schwitze wenig, und die Luft ist trocken. Unmöglich, strenge Gerüche zu entwickeln. Wenn ich meinen starken, sauren Schweißgeruch in der Nase habe, werde ich wild. Hier verweichliche ich. Bei dem Rhythmus hier werde ich nach und nach immer schlaffer. Und das ist echt scheiße. Ich bin lieber der Stamm aus Eiche, die Peitsche, das Schwert des Teufels, verdammt und verflucht noch mal! Ich spaziere ein bisschen durch den Wald, während mir all das durch den Kopf geht. Wie können die Leute hier bloß so langweilig leben? Ich will mich sammeln. Gehe zurück. Agneta arbeitet wie verrückt: Sie macht mit dem Staubsauger sauber, wäscht die Wäsche und läuft alle Viertelstunde hinunter in den Keller. Trägt Wäsche hoch und runter. Schleppt zwei Teppiche vors Haus und klopft sie aus. Alles gleichzeitig. Um zwölf mache ich etwas zu essen: mexikanischen Salat, Lachs, Käse, Brot und Bier. Die Sonne kommt heraus, der Himmel klart auf, die Temperatur steigt an. Es ist jetzt heiß und etwas schwül. Wir fahren an einen nahe gelegenen kleinen Strand. So wird das hier jedenfalls genannt. In Wirklichkeit ist es ein ausgedehnter Rasenplatz mit ein paar Dutzend Leuten, die sich sonnen. Da ist ein riesiger Wald, der Rasen und ein Holzsteg, der ein paar Meter in die Ostsee reicht. Einige wagemutige Leute springen hinein, um ein paar Minuten zu schwimmen.
    Wir suchen uns einen freien Platz, um ein rotes Laken und Handtücher auszubreiten. Die Sonne ist stark. Wir reiben uns mit Öl ein. Uns am nächsten liegt eine Dame in den Sechzigern. Vielleicht fünfundsechzig. Drei Meter neben uns. An ihrer Seite hat sie ein Fahrrad und einen großen Rucksack. Sie legt ihr Bikinioberteil ab. Ihre Haut ist faltig, gebräunt, mit tausenden Leber- und Altersflecken. Die Brustwarzen sind sehr groß, dunkel und aufgerichtet. Irgendwann einmal hatte sie große, geschwollene Brüste. Jetzt sind es nur noch ein paar Schläuche, die schlaff zu beiden Seiten herabhängen. Sie hat ihre Arme gehoben, ein schütterer blonder, langer Flaum wächst aus ihren Achseln. Mit offenem Mund liegt sie unbeweglich da, die Zähne gelb und schmutzig. So verlassen, so abwesend, mit so runzeliger Haut, so unbeweglich, so nackt. Sie wirkt wie eine Leiche. Ich sehe genau hin, und tatsächlich: Sie atmet kaum. Sie ist wie die Leiche einer alten, hässlichen Dame. Die Leiche eines verbrauchten Körpers. Vom Meer her weht eine stete, leichte Brise, die nach Schwefel riecht. Es ist sehr still. Nur das Gemurmel von jemandem, der in unsrer Nähe spricht, und das seichte Plätschern der Wellen auf den Steinen des Strands. Weder Möwen noch andere Vögel. Die Brise bewegt kein Blättchen in den Bäumen. Es sind keine Kinder da. Oder wenn doch, dann spielen sie nicht, sind ganz ruhig. Nur ein Motorboot, das auf dem Meer schnell an uns vorüberfährt, ist zu hören und zieht eine Kielspur aus weißem Schaum hinter sich her. Ich fühle mich einsam. Völlig und absolut allein auf der Welt. Ein solcher Eindruck von Einsamkeit ist entmutigend. Ich lese ein wenig, trinke Kaffee, bräune mich. Agneta erklärt mir, sie könne nicht allzu lange in der Sonne bleiben.
    »Seit zwei Jahren war ich nicht mehr in der Sonne.«
    »So lange?«
    »Oder länger. Vielleicht seit drei Jahren. Ich weiß nicht genau.«
    »Na schön, mach dir keine Gedanken. Wir können gleich in den Schatten der Bäume umziehen.«
    »Nein, nein.«
    »Ach, deine Allergie.«
    »Ja, zu viele Pollen. Ich will all den Gräsern nicht zu nahe kommen.«
    »Hm, ich werde ein bisschen schwimmen gehen.«
    »Das Wasser ist eiskalt, vielleicht nicht sehr angenehm für dich.«
    Fünfzehn Minuten später komme ich zurück. Der Wind und der Schwefelgeruch sind jetzt etwas stärker geworden. Die Leichen-Frau liegt unverändert da. Ist sie vielleicht wirklich tot? Es ist eindrucksvoll, diesen zerstörten, nackten Körper so verlassen im Gras liegen zu sehen. Sie atmet fast nicht, liegt absolut

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