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Animal Tropical

Animal Tropical

Titel: Animal Tropical Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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inzwischen denke ich, auch in meinem Alter. Manchmal bleibt einem nichts anderes übrig.

19
    Ich arbeitete auf feuchtem Acker, und der Schlamm klebte mir an den Stiefelsohlen. Ich musste gebückt arbeiten. Steckte die Hände in den Morast und zog Kartoffeln hervor. Der Tag war grau, es nieselte, und mir war sehr kalt. Ein paar Krähen schrien. Man hörte sie klar und deutlich. Es war eine Strafe, diese Kartoffeln zu lesen. Man musste dazu den Arm bis zum Ellbogen in den schwarzen kalten Schlamm stecken. Da sah ich, wie einige große Nacktschnecken, ebenso schwarz wie die Erde, ihren Schleim absonderten und mir langsam die Arme, meinen Hals, mein Gesicht hochkrochen. Ich spürte sie weiter über meinen Rücken kriechen. Einige hefteten sich an die Haut und saugten sich fest. Ich spürte, wie mir die Nacktschnecken das Blut aussaugten. Es war mir unmöglich, mich von diesen kriechenden Biestern zu befreien, und es wurden immer mehr. Ich durfte nicht aufhören zu arbeiten. Mein rechter Arm steckte voll im Schlamm und grub Kartoffeln aus. Der linke war völlig von schwarzen, ekelhaften Schnecken bedeckt. Vollständig bedeckt. Man sah keine Haut mehr. Ich spürte, wie ich mich nach und nach in eine Nacktschnecke verwandelte. Schreiend und wild um mich fuchtelnd erwachte ich und wollte mir die Schnecken abzupfen, aber sie waren nicht mehr da. Uff, ich stand auf. Agneta murrte, drehte mir den Rücken zu und schlief weiter. Sie bekam nichts mit. Ich ging in die Küche, um Wasser zu trinken. Urinierte. Zwei Uhr morgens. Ich sah aus dem Fenster. Draußen wehte etwas Wind, und die Zypressen, Birken und Eichen des Friedhofs bewegten sich. Die Wolken verdeckten den Mond, aber die Nacht war hell, und man konnte die Gräber gut erkennen. Ich zählte sie. Siebenundzwanzig. Andere lagen verborgen hinter den Bäumen und der kleinen lutherischen Kapelle.
    Ich trank noch ein bisschen mehr Wasser, schloss die Augen und dachte: »Ich schlafe schlecht und wenig. Mal sehen … seit halb zwölf sind’s nur zweieinhalb Stunden.« Ich ging ins Schlafzimmer, legte mich lautlos hin. Ich brauchte noch etwas Schlaf. Da ging mir auf, dass der Albtraum mit den Schnecken in Farbe gewesen war, mit Geruch, Tastsinn, Geräuschen, Temperatur, ich aber durch eine schmutzige Gasse ging. Mit einem Freund, keine Ahnung mehr, wer genau, aber ein Freund. Eine junge Frau, eine Hure, urinierte gegen die Wand. Etwas Merkwürdiges bei einer Frau. Eher schwierig. Aber sie tat’s. Stieß einen harten Schwall gegen die Wand aus.  Als sie fertig war, ging sie ins Haus. In einem Fenster stellten sich alle zur Schau. Es war ein Bordell. Alle räkelten sich wollüstig nackt in ihren Betten, spreizten die Beine und zeigten sich uns. In dem Moment trat diejenige, die auf der Straße gepinkelt hatte, ein. Es war Gloria. Sie sah uns nicht. Sie setzte ein teuflisches Gesicht auf, einen perversen Ausdruck. Sie zog sich nackt aus und legte sich ebenfalls hin, spreizte die Beine und zeigte ihr Geschlecht zum Fenster. Mit halb geschlossenen Augen. Sie wusste nicht, wer sie beobachtete. Sie wollte nur Geld. Und wie weh mir das tat! Es tat mir wahnsinnig weh, zu sehen, wie Gloria all das machte, mit diesem Ausdruck von vorgetäuschter Lust und Befriedigung, zugleich von Hass und Vergeltung. Ich fühlte mich innerlich zerstört und begann zu flennen. Tränen flossen, ich schluchzte und schniefte. Konnte mich nicht wieder fangen. Ich wusste, dass Gloria mir  nicht mehr gehörte und ich sie nie wieder berühren durfte. In dem Moment verlor ich Gloria, und sie fährt fort, sich lasziv auf dem Bett zu räkeln. Ich sah mich um und entdeckte Schutthaufen aus Ziegelsteinen. Die ganze Straße entlang lagen Schutthaufen und Steine, zudem Hundescheiße und Kotze und Ekliges aller Art. Ich fing an, den Schotter und die Steine gegen die Scheibe des Bordells zu werfen, aber sie zerbrach nicht. Ich warf mit aller Wut, heulend und wütend vor Schmerz, aber niemand bemerkte meinen Schmerz und meine Wut. Wie entsetzlich. Weinend erwachte ich. Weinend wie ein kleines Kind. Schluchzend. Untröstlich. Verängstigt. Ich bekam keine Luft. Setzte mich im Bett auf. Schließlich gelang es mir, mein Schluchzen unter Kontrolle zu bekommen und mich davon zu überzeugen, dass alles nur ein Albtraum war. »Es war nur ein Albtraum«, sagte ich mir ein ums andere Mal. Es donnerte. Ich ging ins Wohnzimmer und setzte mich aufs Sofa. Es war halb drei. Der Donner schallte trocken und hart. Ohne Echo, ohne

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