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Animus

Animus

Titel: Animus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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wir tot. Wir hängen mit drin«, erinnerte mich Katya überflüssigerweise.
    Pete kam plötzlich herein. Er stürmte auf mich zu, küsste mich und fragte: »Wie habt ihr’s denn geschafft, den Schatten vor die Tür zu verpflanzen?« Erst dann sah er mich richtig an. »Mein Gott, Lucy, was hast du? Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.« Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Er schaute zu Katya, dann zu Erykah. Die gleichen marmornen Mienen.
    »Verflucht, was ist hier los?«, fuhr er mich an. Er schüttelte mich. Das half.
    »Frag nicht, Pete. Wir haben keine Zeit. Tu einfach, was ich dir sage, und zwar sofort und ohne zu fragen. Steht Frank noch vor der Tür des Rooseveltzimmers?«
    »Ja.« Pete hatte verstanden, dass die Situation ernst war. Auch wenn er nicht wusste, um was genau es sich handelte, reagierte er professionell. Knappe, präzise Antworten.
    »Ruf ihn an. Lock ihn unter einem Vorwand dort weg. Egal, wohin. Weit weg. Jetzt!«
    Pete wählte sofort Franks Nummer. »Hallo, Frank, ich bin’s. Schnapp dir March und trabt zum vorderen Tor. Ich treffe euch da. Tu es!«
    Er legte auf. Schaute mich unverwandt an. »Und jetzt?«
    »Wir gehen. Du kommst mit, Pete, du hast keine Wahl, glaube mir. Marc wartet in der Parallelstraße zum Seiteneingang. Ev, steh auf. Es geht los!«
    Ev wusste ebenso wenig wie Pete, was passierte. Ihr reichte das ›Marc wartet‹. Ohne Fragen zu stellen, stand sie auf. Sie war bereit. Auch Erykah und Katya hatten ihre Taschen geschultert. Nur Pete verharrte. »Bist du völlig durchgeknallt, Lucy? Das funktioniert so nicht! Sie werden Marc und Ev schnappen!«
    »Sie werden uns alle schnappen, wenn du zögerst. Das Rooseveltzimmer fliegt gleich in die Luft. Keine Chance. Für keinen, der drin ist. Oder davorsteht.«
    Pete wurde bleich. Er hatte wohl Schlimmes befürchtet. Hätte er sonst Frank instinktiv beauftragt, March mit zum Haupteingang zu nehmen? Aber dennoch war es ein Schock für ihn. Er packte mich wie vorhin eisern am Arm, fluchte und zog mich aus der Küche. Die anderen folgten uns. Pete tat mir weh. Zu dem Schatten sagte er: »Sie halten hier die Stellung. Wir machen alle noch einmal eine Außensicherung im Rosengarten. Ich übernehme die Verantwortung für Ev.«
    Wenige Minuten später standen wir auf der Pennsylvania Avenue. Auch die Außenposten hatten wir dank Petes übergeordneter Position problemlos passiert. Kaum waren wir für die Patrouillen außer Sichtweite, begannen wir zu rennen. Als wir in die Seitenstraße einbogen, gab Marc mit den Scheinwerfern Lichtzeichen. Wir Frauen sprangen in den Wagen, Marc ließ den Motor an. Pete schob sich neben ihm auf den Sitz. Marc fuhr los. Pete drehte sich durch das geöffnete kleine Sichtfenster, das die Führerkabine vom geschlossenen Fond trennte, zu uns nach hinten.
    »Ich sollte euch alle erschießen! Aus dieser Scheiße kommen wir nie wieder raus. Was habt ihr euch bloß dabei gedacht? Wieso fliegt der Saal in die Luft?«
    Bei seinen letzten Worten erschütterte ein mächtiger Knall das Viertel. Über dem Weißen Haus verfärbte sich der Himmel blutrot. Marc trat das Gaspedal durch.

45. Auf der Flucht
    Marc, 32, Aussteiger
    Der Wagen schlingerte kaum merklich. Die Fahrbahn war durch den Regen glitschig geworden. Mit jedem Block, den wir zwischen uns und das Weiße Haus brachten, wurde der Regen stärker und stärker, bis sich in einem Wolkenbruch alle Schleusen öffneten. Als würden tonnenweise Nägel vom Himmel geschüttelt, prasselten die Wassertropfen hart und metallisch auf das Chassis des Lieferwagens, liefen in Sturzbächen Scheiben und Seitenwände herunter, um sich dann auf die Fahrbahn zu ergießen. Die Geräuschkulisse, die uns umflutete, besaß etwas Gespenstisches. Ich warf einen kurzen Blick nach hinten auf die Frauen. Sie kauerten frierend unter Decken und in Schlafsäcken, versuchten mühsam, in den Kurven das Gleichgewicht zu halten. Sie sprachen nicht, sie schauten sich nicht an. Sie starrten vor sich hin, jede für sich. Ev schlang meinen Parka um ihren zitternden Körper.
    Ich schlängelte den Wagen konzentriert durch den abendlichen Verkehr. Es ging flüssig voran, nur einige rote Ampeln unterbrachen für kurze Zeit die Fahrt. Mit Sirenengeheul und Blaulicht rasten Rettungsfahrzeuge in entgegengesetzter Richtung an uns vorbei. Ich wollte zügig vorwärtskommen, aus der Stadt heraus, allerdings nicht so schnell fahren, dass wir Aufsehen erregten. Dennoch ging es um Minuten. Sicher

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