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Animus

Animus

Titel: Animus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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und alkoholisierten Phasen an die Wand warf, mit den Füßen zertrampelte oder aus dem Fenster warf. Um dann wieder neue zu besorgen.
    Ich schaute zu ihr. Ihre Augen waren geöffnet, sie sah mich traurig an. Sie sagte nichts, aber ihr Blick sprach Bände. Sie hatte uns gehört. Sie schloss die Augen wieder und drehte sich weg. Ich drückte meine Kippe aus, robbte in meinem Schlafsack zu ihr und küsste sie behutsam auf die Stirn. Ich legte mich neben sie. Ganz dicht.
    Wir erwachten, als die Schiebetür aufgerissen wurde und das helle Tageslicht das Innere des Wagens überflutete. Wir rissen die Augen auf, rieben sie, streckten uns.
    »Dass ihr hier drinnen nicht erstickt seid!«, rief Marc, der übernächtigt den Kopf zu uns hereinstreckte.
    »Mach zu, mir ist kalt«, maulte Ev ihn an. Erykah kroch zur Tür, Katya stöhnte und massierte ihren rechten Arm. Ich beförderte meine Beine samt Schlafsack aus dem Wagen, drückte mein steifes Kreuz durch und strich meine Haare nach hinten. Es dauerte einige Sekunden, bis wir uns an das Licht gewöhnt hatten. Der Wagen stand in einer von Büschen und Sträuchern geschützten Parkbucht. Ein hölzerner Tisch mit zwei Bänken war auf einem schmalen Rasenstreifen eingelassen, daneben befand sich eine Gelegenheit zum Grillen. Pete stand am Tisch und wickelte Sandwiches aus, die er um die Thermoskanne herumlegte, als arrangiere er ein besonders leckeres Büfett. Hinter dem Tisch ging es eine kleine Böschung hinab. Dort folgte eine breite Wiese, an die ein mächtiger Tannenwald angrenzte. Die Luft war kalt und klar, auf der Wiese waberten noch Frühnebelfetzen. Als ich mich aus meinem Schlafsack schälte und auf die Böschung zuging, entdeckte ich einen Bach. Ich lief zurück zum Auto, fischte meinen Kulturbeutel aus der Reisetasche, zog den dicken Pulli aus und lief im T-Shirt hinüber zum Bach. Meine braunen Wanderschuhe waren schon nach wenigen Schritten durch den Morgentau dunkel vor Nässe. Ich schaute in das glasklare, seichte Wasser, das über große und kleine Kieselsteine floss, tauchte meine Hände hinein. Das Wasser war eiskalt. Ich wusch mein Gesicht. Auf einen Schlag war ich wach. Ich benetzte auch den Nacken mit Wasser. Dann passierte etwas Seltsames. Es war wie eine Geburt, wie der erste Augenaufschlag nach langer Bewusstlosigkeit. Als würde ich zum ersten Mal sehen, nach langer Zeit. Ich sah ins Wasser, in das Wesen des Wassers. Ich sah die Bewegung, begriff den Stoff, die Substanz, ich hörte sie und nahm sie in die Hand, um sie zu spüren und zu schmecken. Auf der Oberfläche des Wassers tanzten Lichtreflexe. Ich schaute hoch. Die Morgensonne stahl sich fahl über den Rand eines entfernten Bergkamms. Mit jedem Zentimeter, den sich die Scheibe aus ihrem nächtlichen Grab erhob, gewann sie an Fülle und Feuer, bis ihre Strahlen sich in glühenden Strömen von der Hügelkette hinab ins Tal ergossen. Ich empfand urplötzlich Glück. Ich nahm meine Zahnbürste aus dem Beutel, die Zahncreme und putzte mir die Zähne. Bedächtig, bewusst, jeden Strich der Bürste auf meinem Zahnfleisch wahrnehmend wie eine Erweckung. Ich spuckte aus und verfolgte die kleinen weißen Schaumkronen auf dem Wasser, die der Bach hinforttrug. Ein vollkommener Moment, von nichts berührt und erfüllt als von sich selbst.
    Katya trat neben mich. »Kann ich deine Zahnbürste haben? Hab meine vergessen.«
    Ich reichte ihr die Bürste. »Wie geht es dir?«
    Katya versuchte ein Lächeln. »Ich bin okay, glaube ich.«
    »Ja. Du bist okay.«
    Ich stand auf und ging zu den anderen am Tisch. Dabei ruderte ich mit den Armen und machte Kniebeugen, um meinen Kreislauf endgültig in Schwung zu bringen. Ich zog wieder meinen Pulli an, die Jacke darüber und setzte mich hin. Ich fühlte mich wie neugeboren. »Wo habt ihr die Sandwichs her? Und den frischen Kaffee? Und wo sind wir?«
    »Fragen über Fragen«, meinte Pete brummig. »Wir sind in Kentucky. Etwa zwei Stunden vor Nashville. An der letzten Tankstelle haben wir das Frühstück besorgt.«
    Er reichte die Thermoskanne herum.
    »Wir fahren noch bis kurz hinter Nashville und suchen uns dann ein Motel. Ich kann nicht mehr, muss ein paar Stunden pennen«, sagte Marc. Er sah unendlich erschöpft aus.
    »Sollten wir nicht machen, dass wir so weit und so schnell wie möglich von Washington wegkommen?«, warf Katya ein, die vom Bach zurückkam und sich einen Kaffee einschenkte.
    Ich stimmte ihr zu: »Es kann doch eine von uns ans Steuer.«
    Als hätte ich mit

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