Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Animus

Animus

Titel: Animus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
Vom Netzwerk:
der Waschung am Bach nicht nur die dumpfe Nacht von mir gespült, sondern auch eine Häutung vollzogen, fühlte ich mich mit einem Mal unbeschwert, fast fröhlich, obwohl ich keineswegs verdrängte oder vergaß, was passiert war und in welcher Gefahr wir immer noch schwebten. Es schien mir nur so, als wäre das alles nicht wichtig, nicht wirklich, und das Einzige, was wirklich war, wären die Klarheit des Wassers, die Farbe der aufgehenden Sonne, der Geschmack, die Wärme und der Geruch des Kaffees und die vertrauten Gesichter der Freunde, die in die Sandwichs bissen, als gäbe es nichts Besseres auf der Welt. Ich spürte plötzlich, wie eine Erkenntnis mich wie ein Nebel streifte: Egal, wie viele der Kongress-Hardliner mit dem Präsidenten im Kleinen Sitzungssaal draufgegangen waren, ich bereute es nicht. Ich war nicht weiterhin in mein Leben geworfen, herumrudernd in dem Schlick eines aufgezwungenen Schicksals. Ich war frei. Wir waren frei.
    Erykah schenkte in einer anmutigen, in sich ruhenden Bewegung Kaffee nach. Pete plauderte lächelnd. Es schien alles so arglos: sich fernab des bisher Gelebten über diesen Abgrund der Vergangenheit, der ungezählte Leichen barg, hinwegzusetzen. Marc nickte mir zu. »Fahr du. Aber es ist wichtig, dass Pete vorne sitzen bleibt, falls wir in eine Kontrolle kommen. Und Pete hat genauso wenig geschlafen wie ich.«
    »Ich döse auf dem Beifahrersitz. Lucy fährt, solange wir uns in dieser einsamen Gegend befinden. Das Risiko ist in der Stadt zu groß. Schließlich«, wandte sich Pete an uns, »hat keine von euch einen Führerschein oder sonstige Papiere.«
    Ev schaute verdutzt. »Ihr habt keinen Führerschein?«
    Katya grinste. »Sobald du im Knast bist, werden dir alle Papiere weggenommen. Du hast doch auch keine, oder?«
    »Ich habe gedacht, die bekomme ich irgendwann im Lager zurück oder spätestens bei der Freistellung«, warf Ev ein.
    »Falsch gedacht. Du existierst nicht mehr, hast du das vergessen? Im Lager brauchst du keine Papiere, genauso wenig wie im Knast, und wenn du freigestellt bist, bekommst du erst recht keine. Das verringert die Fluchtgefahr. Ohne Papiere kommst du nicht weit.«
    Pete unterbrach ungeduldig die Diskussion: »Ein paar Stunden fahren wir noch. Dann sollten wir den Wagen wechseln. Der Posten, den wir am Lee Highway passiert haben, hat meine Ausweisnummer und garantiert auch den Wagentyp und unser Kennzeichen per Computer erfasst. Es wird nicht mehr lange dauern, bis Walcott Lunte riecht und euer Verschwinden und meine Abwesenheit in Zusammenhang bringt. Er kann zwar nicht ohne Snyders Wissen eine offizielle Fahndung nach mir rausgeben, aber er wird garantiert alle Daten dieser Nacht überprüfen lassen. Dann weiß er, wie wir unterwegs sind.«
    Marc nickte. »Bei einer weiteren Aufnahme unserer Daten, und sei es auch nur wegen Falschparkens, wüsste er, wo wir ungefähr sind. Ich werde ein Wohnmobil mieten, den Lieferwagen müssen wir verstecken. Oder verbrennen.«
    »Verbrennen fällt auf. Hast du genug Geld? Ich kann meine Kreditkarten nicht benutzen, sonst haben sie die nächste Spur«, gab Pete zu bedenken.
    »Meine Karte ist okay, mich kennen sie nicht.«
    »Ich fahre bis Memphis«, sagte ich. »Dann sollten wir alle ein paar Stunden in einem richtigen Bett liegen.« In dem rumpeligen Fonds des Lieferwagens zu liegen war kein Vergnügen. Höchstens eine kleine Erholung, aber mehr nicht. Pete widersprach mir entschieden. Eine Übernachtung in einem Motel hielt er für viel zu gefährlich. Wir standen auf, packten unsere Reste ein und begaben uns wieder ins Auto.
    Ich kletterte auf den Fahrersitz und startete. Pete schaltete das Radio ein.
    »Was haben sie heute Nacht in den Nachrichten gebracht?«, fragte ich.
    »So gut wie nichts. Sie haben nur von Schießereien in der Umgebung des Weißen Hauses erzählt, die angeblich auf das Konto von Jugendbanden gehen sollen.«
    »So ein Blödsinn!«
    »Riecht nach einer vorläufigen Nachrichtensperre. Könnte sein, dass es schlimmer steht, als wir ahnen. Ich habe gestern Abend versucht, Snyder oder March an die Strippe zu bekommen, aber es geht keiner ran. Und langsam wird es mir zu heiß, mein Handy zu benutzen. Walcott ist ein Arsch, aber er ist nicht blöd …« Langsam nickte er ein, den Kopf an seine Jacke gelehnt, die er zwischen sich und das Seitenfester geklemmt hatte.
    Er schlief bis zum frühen Nachmittag. Als er wieder aufwachte, legte er seine Hand auf meinen Oberschenkel, zündete zwei

Weitere Kostenlose Bücher