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Animus

Animus

Titel: Animus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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Zigaretten an und reichte mir eine davon.
    »Das Gelände ums Weiße Haus ist großräumig abgesperrt. Über das komplette Zentrum wurde eine Ausgangssperre verhängt. Angeblich haben sich weitere Kampfherde aufgetan. Die Nationalgarde ballert durch die Stadt. Es wurde Verstärkung angefordert. Das Märchen von den marodierenden Jugendbanden haben sie inzwischen ad acta gelegt. Sie nennen die Sache jetzt beim Namen: groß angelegter Angriff von schwerstbewaffneten Terroristen.«
    Pete kommentierte meine Zusammenfassung der letzten Nachrichten nicht. Was sollte er auch sagen? Er hatte Mühe genug, nach diesem unerquicklichen Schlaf wieder in die Realität zu finden, seine Gedanken zu ordnen und die Erinnerung an das Chaos der letzten Nacht zu einem Bild zusammenzufügen. Unruhig ging er das Risiko ein, griff nach seinem Telefon, wählte eine Nummer nach der anderen, bekam aber keine Verbindung.
    Ich verspürte kein Bedürfnis zu reden. Mein trotz aller niederschmetternden Neuigkeiten immer noch anhaltendes Hochgefühl ließ sich nicht vermitteln oder gar begründen. Jedes Wort hätte das fragile Gleichgewicht zerstört, auf dem ich seit dem Morgen schwerelos schwebte. Ich wollte diesen Zustand bewahren, so lange es ging. Ich fuhr einfach nur. Bis ich spürte, wie sich ein Schleier der Müdigkeit über mich legte und meine Leichtigkeit sanft niederdrückte.
    »Ich bin müde, Pete. Soll Katya weiterfahren, oder sollen wir eine Pause einlegen?«
    »Fahr durchs nächste Kaff, aber langsam. Und pass auf die Bullen auf. Dass du mir keine rote Ampel überfährst oder so was. Ich werde mich nach einem Autohändler umsehen.«
    Es hatte zu schneien begonnen. Wir waren kurz vor Gallaway, einem Städtchen in der Nähe von Memphis. Es dauerte nicht lange, und wir tauchten in den mäßigen Verkehr des Zentrums ein. Erst kurz vor Ortsausgang befand sich ein Autohändler, der einige Vans auf seinem Gelände stehen hatte. Ich fuhr aus der Stadt hinaus, bis zur nächsten ruhig gelegenen Parkzone und stoppte.
    Eine gute Stunde später war Marc mit einem nicht gerade neuen, aber geräumigen und zuverlässig wirkenden Wohnmobil zurück. In der Zwischenzeit hatten wir den Lieferwagen im Wald versteckt und mit Gestrüpp und herumliegenden Ästen getarnt. Der Schnee würde in kurzer Zeit unsere Spuren bedeckt haben. Wir packten unsere Sachen in das Wohnmobil und freuten uns, soweit Eile und Anspannung das zuließen, über eine Sitzecke, drei Betten, eine ebenfalls recht bequeme Notliege, Toilette, Kochgelegenheit und einen kleinen Kühlschrank. Marc übernahm wieder das Steuer. Die paar Stunden Schlaf hatten ihn erfrischt. Pete musste noch durchhalten, bis wir die Grenze nach Mississippi überschritten hatten. Dann würde auch er sich hinlegen können. Marc plante, Memphis großräumig zu umfahren und dann den Weg Richtung Süden fortzusetzen.
    Ich kroch in die Koje und schlief sofort ein.
    Als sei das Dach einer Puppenstube abgehoben worden, sah ich von oben in den Raum hinein. Ich konnte nichts Deutliches erkennen, es sah alles winzig aus, also schwebte ich nieder in das kleine geflieste Zimmer. Es standen zwei Tische darin und einige Stühle. Der eine Tisch war leer. Auf dem anderen lagen verschiedene Gerätschaften. In der Mitte des Zimmers war noch etwas sehr Wichtiges, aber wie unter Zwang wollte ich mir das erst zum Schluss ansehen. Ich ging zu dem Tisch, auf dem Dinge herumlagen. Ich betrachtete sie, nahm sie in die Hand, legte sie wieder hin und versuchte, mir einen Reim darauf zu machen. Die Dinge kamen mir bekannt vor, als hätte ich sie tausendmal gesehen. Doch ich konnte sie nicht benennen und schien ihre Funktion vergessen zu haben. Dabei wusste ich genau, dass ich mich nur zur Mitte des Zimmers umzudrehen brauchte, um alles auf einen Blick zu erkennen. Aber ich sträubte mich. Meine Nackenhaare stellten sich auf, ein Frösteln lief über meinen Körper. Ich schaute an mir herunter und stellte fest, dass ich barfuß war. Die Fliesen waren kalt, obwohl der Raum von einer dumpfen, abgestandenen Wärme erfüllt war. Dann sah ich wieder auf den Tisch vor mir. Ich konnte nichts anfangen mit den metallischen Geräten. Wirklich nicht, nein. Ich wollte es nicht. Doch ich wusste es. Ich wusste auch, dass ich mich jetzt umdrehen musste. Und was ich dann sehen würde. Ich hatte es schon von oben gesehen, aber jetzt erst erkannt, als ich mit dem Rücken zur Zimmermitte stand. Ich drehte mich um. Langsam, ganz langsam. Ich wollte nicht

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