Animus
bitter. »Von denen kommt im Moment nicht viel. Die Bullen sollen den Wagen nicht aufhalten oder sonst etwas unternehmen. Aber darum kümmere ich mich. Sie haben einen guten Job gemacht, Tyler.« Walcott wollte den Bildschirm schon abschalten, so sehr brannte es ihm unter den Nägeln, die weiteren Schritte einzuleiten. Doch Tyler rief: »Hey, Moment. Ein interessantes Detail kennen Sie noch nicht!«
»Spucken Sie’s aus! Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!«
»Marc Westwood hat die ersten Semester an der gleichen Uni studiert wie Pete Fowler. Dann wechselte Westwood die Uni. Und landete an der gleichen wie Conrad Calvert, der Boss der Stadtguerilla. Würde mich nicht wundern, wenn die alte Kumpels wären.«
»Machen Sie weiter«, beendete Walcott das Gespräch und schaltete den Monitor ab. Es gab einiges zu tun. Und ich hatte die Ehre, dabei zu sein. Den Tag verfluche ich heute noch.
50. Die Welt blutet aus
Lucy, 43, Sensor Stufe 10
Auf der letzten Etappe zwischen Grenada, Mississippi, und Pecan Island in Louisiana wechselten sich Marc und Pete alle zwei Stunden beim Fahren ab. Sie waren so übermüdet, dass sie kaum länger durchhielten, wollten aber dennoch nicht riskieren, dass eine von uns das Steuer übernahm und sich in einer Kontrolle nicht ausweisen konnte. Sie fuhren langsam, mieden die Hauptverkehrsadern, umfuhren die Großstädte. Pete versuchte einige Male, March oder Snyder zu erreichen. Vergeblich. Also rief er bei seiner Exfreundin, der Reporterin Pamela Mitchum, an. Sie war sofort am Apparat, schilderte, offensichtlich in großer Hektik, die Ereignisse der letzten Stunden in der Hauptstadt. Es war Nachrichtensperre verhängt worden, um die Bevölkerung nicht noch mehr in Unruhe zu versetzen. Am Weißen Haus wurde immer noch geschossen, ebenso am Pentagon. Pamela hatte nicht den Eindruck, dass sich die Situation verbessert hatte, im Gegenteil. Die unterstützenden Truppen, die bislang eingetroffen waren, wurden schon am Militärflughafen mit Sperrfeuer belegt und waren bereits über die Hälfte dezimiert worden. Der Krisenstab hatte inzwischen das Regierungsgebäude verlassen und gab seine Befehle von einer geheimen Kommandozentrale aus, in der sich auch der Vizepräsident befand. Alle Fernseh- und Radiostationen hatten die Weisung bekommen, Bilder und Kommentare bis neun Uhr früh des folgenden Tages zurückzuhalten. Bis dahin hoffte der Krisenstab, Entwarnung geben und die tatsächlichen Ereignisse vertuschen zu können. Pamela versuchte inmitten ihrer telefonischen Berichterstattung immer wieder, aus Pete Fakten über die Hintergründe herauspressen. Doch Pete schwieg. Sie verabschiedete sich mit dem Hinweis, er solle den Fernseher auf jeden Fall am nächsten Morgen um neun einschalten. Dann würden sie auf Sendung gehen, egal, was der Krisenstab forderte, egal, wie sich die Situation dann darstellen würde. Pete klappte sein Handy zusammen und brachte uns auf den neuesten Stand.
Gegen ein Uhr nachts legten wir eine Pause ein, parkten das Wohnmobil im verschneiten Wald und legten uns zwei Stunden in die Betten. Marc packte sich neben Evelyn, die nun immer unruhiger schlief. Sie schwitzte, rollte sich hin und her. Seit dem Beginn unserer Flucht sprach sie kaum. Als sie in Washington in den Wagen gestiegen war, ihren Stiefbruder gesehen hatte und begriff, dass sie befreit wurde, dass sie nach Hause fahren würde, wo immer das jetzt auch liegen mochte, da hatte sie nur mit Mühe ihr Bedürfnis unterdrücken können, zu reden, zu danken und zu umarmen. Doch sie hatte instinktiv registriert, dass die Gefühle von uns anderen in einem für sie unverständlichen heftigen Aufruhr begriffen waren. Also hielt sie sich nun zurück, wollte wohl den richtigen Zeitpunkt abwarten, um sich endlich freuen zu dürfen. Doch je mehr sie, Stunde um Stunde, Kilometer um Kilometer, von den Umständen und den Ereignissen erfuhr, die uns zur Flucht getrieben hatten, umso stiller wurde sie, umso schneller keimte anscheinend der Same der Unsicherheit in ihr, ob sie überhaupt ein Recht, einen Grund besäße, glücklich zu sein. Ich konnte es ihr nicht sagen.
Pete legte sich auf das obere Bett gegenüber von Erykah, die wie Ev seit ungefähr drei Stunden schlief. Katya und ich saßen am Tisch, kochten eine Kanne Kaffee nach der anderen, aßen Nüsse, rauchten, lüfteten, rauchten wieder und redeten nur das Nötigste. Das Radio lief die ganze Zeit, doch schon seit Stunden waren überhaupt keine Meldungen mehr aus
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