Animus
obwohl dieses verschnörkelte, aufgedunsene Gepräge mir eine Art ästhetischer Katatonie verursachte. Sie strahlte. »Gefällt es Ihnen? Warten Sie, bis Sie im Wohnzimmer sind!«
Spätestens dort wünschte ich, ich hätte meine Sonnenbrille auf. Begeistert und in der fälschlichen Annahme, endlich jemanden gefunden zu haben, der ihre Exzesse in Bombast und Brimborium zu schätzen wusste, nahm sie mich am Arm und führte mich herum. Sie irrte sich ebenso schmerzlich in der Deutung meiner verblüfften Ahs und Ohs und wollte schon einen Vortrag über die französischen Ursprünge des stilisierten Tulpenmusters der Textiltapete anstimmen, als Snyder sanft einschritt: »Ich bin sicher, meine liebe Melanie, dass Pete nach dem Essen gerne ein bisschen Zeit opfert, um das breite Spektrum deiner innenarchitektonischen Zauberkünste zu bewundern. Doch lass uns zuerst essen. Ich habe einen Schweinehunger.«
Sie schmollte ein wenig mit der Unterlippe und kniff ihren Mann vorwurfsvoll in den Arm. »Sei nicht immer so gewöhnlich, Hank!« Dann hakte sie sich bei mir unter, bemerkte mit einem kurzen Seufzer: »Mein Mann nimmt mich nicht ernst, er hat keinen Sinn für die Kunst.« Sie führte mich ins Esszimmer, wo eine beschürzte Dienstbotin gerade die Rosen in einer Vase arrangierte. »Ich bin sehr froh, dass mein Mann Sie endlich einmal eingeladen hat. Er hat schon so viel von Ihnen erzählt!«
Snyder überließ das Tischgespräch völlig seiner Frau. Er konzentrierte sich auf das Essen, welches aus vier Gängen bestand und von besagtem Dienstmädchen formvollendet serviert wurde. Als wir zwei erschöpfende Stunden später auch den Kaffee hinter uns gebracht hatten, schwang sich Snyder in schwindelerregende Höhen über sein bisheriges Brummen und formulierte zwei vollständige Satz, die mir wie Musik in den Ohren klangen: »Melanie, du wirst uns verzeihen, dass wir den Brandy in der Bibliothek unter Ausschluss deiner liebreizenden Gesellschaft nehmen. Erstens brauche ich eine Zigarre, und zweitens haben wir einiges zu besprechen.«
Melanie nickte, ganz verständnisvolle Gattin. Ich erhob mich mit einer charmanten Entschuldigung und folgte Snyder.
Als wir die schwere, mit Leder bezogene Bibliothekstür hinter uns geschlossen hatten, grinste Snyder mich an. »Wir haben keine Kinder. Deswegen konzentriert sich meine Frau ganz auf die intensive Pflege ihrer gesellschaftlichen Stellung und des dieser Position angemessenen Rahmens. Mann, die kann sich richtig an einem Mokkatässchen aufgeilen! War’s sehr anstrengend für Sie, Pete?«
Er öffnete einen großen Humidor und bot mir eine Zigarre an: »Rauchen darf ich nur hier, weil sonst die teure Tapete vergilbt. Möchten Sie eine? Illegaler Havanna-Import.«
Ich lehnte dankend ab und zündete mir eine Zigarette an. Snyder nahm eine Flasche Brandy und zwei Schwenker aus einem Nussbaumvertiko und schenkte großzügig ein. Wir nahmen auf schweren braunen Clubsesseln Platz. Der Raum war rundum mit vollgestopften Bücherregalen möbliert.
»Haben Sie die alle gelesen?«, fragte ich ehrfürchtig, als ich meinen Blick über die Bücher schweifen ließ.
»Noch nicht. Aber ich gehe ja bald in den Ruhestand. Und bevor ich mit meiner Frau durch Stoffgeschäfte tigere und mich am sinnlichen Genuss einer Brokatberührung erquicke, lese ich mich hier lieber dreimal von rechts nach links und von oben nach unten.« Genüsslich stieß er Rauchkringel aus.
»Kann ich verstehen. Der Raum ist eine echte Männerfestung. Riecht nach Rauch und Leder statt nach Rosenwasser«, grinste ich.
»Und er ist abhörsicher«, fügte Snyder beiläufig hinzu.
»Halten Sie das für nötig?«
»In unserem Geschäft bespitzelt jeder jeden. Manchmal habe ich ein aberwitziges Szenario vor Augen: Wir sind alle nur noch damit beschäftigt, uns gegenseitig auf den Zahn zu fühlen, versuchen, die Privattelefonate der Kollegen mit ihren Frauen zu dechiffrieren, vermuten hinter jedem Rollbraten, der erwähnt wird, den Code für eine Wasserstoffbombe. Secret Service, CIA, FBI, NSA, Pentagon und was weiß ich wer, bemühen sich so sehr, auf dem Laufenden zu bleiben über die geheimen Pläne, Machenschaften und Intrigen der Jungs aus anderen Abteilungen, dass wir irgendwann weder Kapazitäten noch Interesse dafür haben, was außerhalb unseres Umfeldes geschieht. Was meinen Sie, Pete? Sind wir nicht alle krank im Kopf?«
»Stimmt wahrscheinlich. Aber es klingt so … so frustriert. Nach Frühpensionierung. Nach
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