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Animus

Animus

Titel: Animus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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schlimm?«, fragte sie.
    »Es wird immer schlimmer, immer deutlicher.«
    »Bei mir auch.«
    Wir schwiegen kurz. Dann fragte ich: »Was hast du gesehen?«
    »Köpfe. Mit herausgepickten Augen. Abgetrennte Köpfe. Auf Lanzen. Und wieso bist du wach?«
    »Rate mal. Ich halte das nicht mehr lange aus …« Als ich nach meinem zweiten Wodka griff, verschüttete ich die Hälfte.
    Katya nickte abwesend. »Ich bin auch völlig mit den Nerven runter. Jede Nacht das Gleiche. Es sind keine Träume, ich habe es auch tagsüber. Es überfällt mich ganz plötzlich, ein faulig-metallischer Geschmack auf der Zunge, der Geruch von Kot und Urin, Leichen, die in ihren Exkrementen liegen, der süßliche Gestank der verwesenden Leiber. Es würgt mich, jeder Luftzug, den ich einatme, bringt mich erneut zum Würgen, aber die Luft erreicht nicht die Lunge, als hätte ich Löcher im Kehlkopf, durch die sie wieder ausströmt, es zieht in meinem Hals, und wie bei einer Zwangsneurose beuge ich mich mit dem Kopf zu ihnen, schnuppere an ihrer aschfahlen Haut, streiche mit den Fingern über die wächsernen Gesichtszüge. Dann berühre ich mich selbst, und auch meine Haut ist stumpf und kalt, fühlt sich taub an. Nur an der Unterlippe, da spüre ich, wie mir eine Fliege aus dem Mund kriecht. Oder in ihn hinein, ich weiß nicht.«
    Ich goss mir nach, kippte runter. »Was sollen wir bloß machen? Was sollen wir machen?« Ich saß da, schlang die Arme fest um mich und wiegte meinen Oberkörper hin und her.
    »Wenn wir es genau wüssten …«, flüsterte Katya.
    Ich schaute sie wütend an. »Ich bin mir sicher, ich bin mir todsicher!«
    Katya schwieg.
    »Wir bringen ihn um«, sagte ich plötzlich ganz ruhig.
    Katya schaute die Wand an und kreiste mit ihrem rechten Zeigefinger um den Rand ihres Glases. »Daran habe ich auch schon gedacht. Wir müssen mit Erykah reden. Vielleicht drehen wir beide durch.«
    Ich nickte. »Ja, wir müssen mit Erykah reden.«
    »Was, wenn sie keine Ahnung hat?«
    »Wir werden sehen.«
    »Aber wir müssen etwas tun! Nicht wahr, Lucy, wir tun etwas?« Katya war verängstigt, hilflos. Ich war wie ihre große Schwester. Ich musste entscheiden.
    »Ja, wir tun etwas«, versprach ich. »Lass uns jetzt wieder ins Bett gehen. Wir brauchen Schlaf.«
    Sie weigerte sich, ins Bett zu gehen. Aus Angst, dass es wieder anfing.
    Ich kramte eine Schachtel Zigaretten aus der Schublade und zündete mir eine an.
    »Ich frage mich, wozu ich jeden Tag durch den Park laufe wie eine Bekloppte, wenn ich doch nicht mit dem Rauchen aufhöre.«
    »Die fünf Jahre, die wir noch haben, kannst du locker rauchen. Ich glaube nicht, dass du an den Folgen deiner Nikotinsucht abkratzt. Genauso wenig wie ich. Gib mir auch eine.« Katya lächelte, dankbar, dass ich noch bei ihr blieb. »Ich habe dir nie erzählt, wieso ich im Knast gelandet bin. Und ich war dir immer dankbar, dass du mich nie danach gefragt hast.«
    Ich blies nachdenklich den Rauch aus. »Ich werde dich auch jetzt nicht fragen. Oder musst du es unbedingt loswerden?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Belassen wir’s dabei. Ist mir lieber, du magst mich weiterhin.«
    »Wie kommst du darauf, dass ich dich mag?« Ich versuchte ein Grinsen.
    »Pass auf, ich erzähle dir jetzt eine Geschichte. Auch ich bin in einem katholischen Haushalt aufgewachsen. Mit der Praxis war es allerdings bei uns weniger weit her als mit der Theorie. Wenn meine Großmutter nicht gewesen wäre …«
    »Ah, die sagenumwobene litauische Gräfin!«
    »Von ihr habe ich mein spezielles Verständnis für Religion. Ein bisschen Katholizismus, aufgeweicht durch eine gehörige Prise Weltoffenheit und gewürzt mit litauischer Naturverbundenheit.«
    »Und wie stellt sich diese Mixtur dar?«, fragte ich.
    »Wenn ich sterbe, musst du mich litauisch beerdigen. Weißt du, wie du das machen musst?«
    »Keine Ahnung, aber ich fürchte, du wirst es mir jetzt erklären.«
    »Ich habe dir mal erzählt, dass die Seele einer litauischen Frau in einen Baum oder einen Vogel wandert, die Seele einer bösen Frau in eine Eule. Wohin die Seelen der Männer wandern, habe ich vergessen. Bestimmt in Schweine oder Esel oder so was. Egal. Bevor es so weit ist, muss die Leiche der Frau aufgebahrt werden, etwa drei Tage. Sie trägt ihre Hochzeitskleidung. Falls vorhanden. Kannste bei mir vergessen, das wird nix mehr … Also, die Seele hat den Körper zwar schon verlassen, bleibt aber noch im Haus, bis auch der Körper das Haus verlässt. Man muss deshalb sehr

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