Anita Blake 04 - Giergige Schatten
es nun mal.« »Tun Sie das nicht«, sagte ich.
Alfred machte noch einen Schritt.
Ich holte tief und gleichmäßig Luft. Die Übrigen am Blickfeldrand behaltend, schaute ich nur auf Alfred, auf einen Fleck in der Brustmitte. »Ich bluffe nicht.«
Ich merkte, wie er die Muskeln spannte, und wusste, er würde sterben. Er war zuversichtlich, dass er schneller springen als ich abdrücken würde. Niemand war so schnell. Hoffte ich. Er sprang in dem weiten Bogen, den ich schon einmal von ihm gesehen hatte. Ich ließ mich auf ein Knie fallen und zielte dabei. Die Kugel traf ihn in der Luft. Er ruckte und stürzte zu Boden.
Der Schuss hallte in die Stille hinein. Ich stand auf, ohne die Waffe abzuwenden. Ich näherte mich langsam. Er rührte sich nicht. Wenn er atmete, so war es nicht zu sehen. Ich ging so weit in die Knie, bis der Lauf seinen Rücken berührte. Keine Bewegung. Ich tastete am Hals nach dem Puls. Nichts. Mit der Linken zog ich die Browning aus seinem Hosenbund. Die Firestar hielt ich auf die anderen gerichtet. Links war ich nicht so gut, wollte aber nicht die Zeit zum Umwechseln riskieren.
Marcus wollte von der Bühne springen. »Nicht«, sagte ich. Er erstarrte. Er wirkte schockiert, als hätte er nicht geglaubt, dass ich es wirklich tun würde.
Rafael kam zwischen den Tischen hindurch zu uns. »Darf ich ihn mir ansehen?«
»Sicher.« Aber ich wich zurück. Theoretisch außer Reichweite.
Rafael drehte ihn herum. Das Blut aus der Brustwunde hatte eine Lache gebildet. Aus den Mundwinkeln liefen hellrote Rinnsale in den Bart. Also doch nicht schneller als ein Geschoss.
Marcus schaute mich über den Toten hinweg an. Ich hatte erwartet, ihn zornig zu sehen, aber er sah gequält aus. Er betrauerte Alfreds Hinscheiden. Ich hatte zwar abgedrückt, aber er hatte Alfred in diese Lage gezwungen. Er wusste es, ich wusste es. Jeder wusste es.
»Sie hätten ihn nicht umbringen müssen«, sagte er leise. »Sie haben mir keine Wahl gelassen«, erwiderte ich. Er schaute auf den toten Alfred, dann sah er mir ins Gesicht. »Ja, vermutlich. Wir beide haben ihn getötet, Sie und ich.«
»In Zukunft wird es also kein Missverständnis mehr zwischen uns geben, Marcus. Ich bluffe niemals.«
»Das sagten Sie.« »Aber Sie haben mir nicht geglaubt.« Er sah zu, wie sich die Blutlache auf dem Boden ausbreitete. »Jetzt glaube ich Ihnen.«
12
Wir hatten einen Toten auf dem Boden liegen. Erhob sich wieder die uralte Frage: Wohin mit der Leiche? Es gab die traditionelle Lösung. »Ich werde die Polizei rufen«, schlug ich vor. »Nein«, sagte Marcus. Dieses Wort enthielt mehr Kraft als alles, was er geäußert hatte, seit Alfred auf dem Boden aufgeschlagen war.
»Er ist tot, Leute. Wenn ich mit normaler Munition geschossen hätte, würde er gesund werden, aber es war Silber. Wir müssen die Polizei rufen.«
»Sind Sie so erpicht darauf, ins Gefängnis zu wandern?« Das von Rafael. »Ich will nicht ins Gefängnis, aber ich habe ihn getötet.«
»Ich glaube, dabei hatten Sie ein wenig Hilfe.« Christine war neben uns getreten. Da stand sie in ihrem rosaroten Kostüm und den geschlossenen schwarzen Pumps und betrachtete die Leiche. Ein Rinnsal Blut schlängelte sich auf ihre Schuhe zu. Sie musste es bemerkt haben. Sie trat nicht zur Seite. Das Blut floss um ihre Schuhspitze und weiter.
Raina tauchte hinter Marcus auf. Sie legte ihm die Arme um die Schultern, lehnte die Wange an seinen Hals, dicht genug, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern, aber ihre Lippen bewegten sich nicht. Es war ihre stichelnde Bemerkung gewesen, die die Lage auf die Spitze getrieben hatte. Eine kleine Bemerkung.
Marcus rieb seine Hand an ihrem Arm, beugte sich nieder, um ihr Handgelenk zu küssen.
Rafael kniete noch neben der Leiche. Die Lache näherte sich seinem Knie. Er stand hastig auf, streifte dabei mit den Fingern den blutigen Boden. Er führte die Hand an die Lippen. Ich wollte sagen: »Nicht!«, aber ich schwieg. Er steckte die Finger in den Mund und leckte sie ab.
Seine dunklen Augen schossen zu mir herüber. Er ließ die Hand sinken, als wäre er verlegen, als fühlte er sich bei einer intimen Geste ertappt. Vielleicht war es das.
Die beiden lederbekleideten Gestaltwandler zogen hinter den Tischen heran, als wollten sie mich einkreisen. Ich wich ihnen aus. Noch hielt ich beide Pistolen für jeden sichtbar in der Hand. Der mit dem Metall auf den Fingerknöcheln sah mich an, um die Mundwinkel spielte ein Lächeln. Seine Augen hatten ein
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