Anita Blake 04 - Giergige Schatten
verwundet.«
Ich schüttelte den Kopf. »Er scheint mir nicht besser zu sein als die Meistervampire, die ich kenne.« »Ich kenne keinen Meistervampir persönlich. Ich werde Ihnen wohl glauben müssen.«
Ich musste lächeln. Ich kannte mehr Monster als die Monster selbst. »Könnte Richard darüber Bescheid wissen?« »Möglich, und wenn nicht, könnte er Ihnen helfen, etwas herauszufinden. «
Ich wollte ihn fragen, ob Richard so schlimm war wie Marcus. Ich wollte wissen, ob mein Liebster wirklich im innersten eine Bestie war. Ich fragte nicht. Wenn ich etwas über Richard erfahren wollte, sollte ich ihn selbst fragen.
„Wenn Sie keine weiteren Informationen haben, Kaspar, ich habe noch zu arbeiten.« Das klang selbst für meine Ohren grantig. Ich lächelte, um die Wirkung abzumildern, nahm aber nichts zurück. Ich wollte den ganzen Schlamassel weghaben, und er erinnerte mich daran.
Er stand auf. »Falls Sie irgendwelche Unterstützung brauchen, rufen Sie mich an.« »Sie werden mir nur die Unterstützung geben können, die Marcus absegnet, richtig?« Eine leichte Röte färbte seine blasse Haut, ein rosiges Leuchten wie gefärbter Zucker. »Ich fürchte, so ist es.«
»Ich glaube nicht, dass ich anrufen werde«, sagte ich. »Sie trauen Marcus nicht?« Ich lachte, aber es klang schroff, nicht freundlich. »Sie etwa?« Er lächelte und nickte kaum merklich. »Vermutlich nicht.« Er ging zur Tür.
Ich hatte die Hand am Türknauf, als ich mich zu ihm umdrehte und fragte: »Ist es wirklich ein Familienfluch?« »Mein Gebrechen?« »Ja.« »Kein Familienfluch, aber ein Fluch, ja.« »Wie im Märchen?«, fragte ich. »Märchen klingt zu nett. Die Ursprungsgeschichten sind oft grausig.«
»Ich habe einige gelesen.« »Haben Sie die Schwanenprinzessin im altnordischen Original gelesen?« »Kann ich nicht behaupten.« »In der ursprünglichen Fassung ist die Geschichte noch schlimmer.«
»Tut mir Leid, das zu hören«, sagte ich.
»Mir auch.« Er machte einen Schritt auf die Tür zu, und ich musste sie öffnen, um ihn hinauszulassen. Ich hätte die Geschichte zu gern von ihm selbst gehört, aber in seinem Blick lag eine Qual, die mir ins Herz schnitt. Ich konnte ihn kaum dazu drängen.
Er trat an mir vorbei. Ich ließ ihn gehen. Ich würde mein Lehrbuch zur vergleichenden Literaturwissenschaft hervorholen müssen, aus dem Kurs über den Wahrheitsgehalt von Märchen. Es war lange her, dass ich die Schwanenprinzessin gelesen hatte.
17
Es ging auf halb sieben zu, als ich den Flirr zu meiner Wohnung entlangging. Ich hatte halb erwartet, Richard in der Eingangshalle sitzen zu sehen, aber sie war leer gewesen. Mein Magen entspannte sich ein klein wenig. Ein Aufschub von ein paar Minuten war trotzdem ein Aufschub.
Ich steckte den Schlüssel ins Schloss, als sich die Tür hinter mir öffnete. Ich ließ die Schlüssel los, sodass sie an der Tür baumelten. Meine rechte Hand fuhr an die Browning. Ich tat es unwillkürlich, nicht aufgrund von Überlegung. Meine Hand war am Kolben, aber die Pistole war noch nicht zu sehen, als Mrs Pringle im Eingang erschien. Ich ließ die Waffe los und lächelte sie an. Ich glaube nicht, dass sie meine Geste bemerkt hatte, denn ihr Lächeln stockte für keinen Augenblick.
Sie war groß und mit dem Alter dünn geworden. Ihr weißes Haar war im Nacken zu einem Knoten geschlungen. Mrs Pringle trug kein Make-up und rechtfertigte sich nie, dass sie über sechzig war. Sie schien ihr Alter zu genießen.
»Anita, Sie kommen heute Abend etwas spät«, sagte sie. Custard, ihr Spitz, kläffte in einem fort wie eine hängen gebliebene Schallplatte.
Ich blickte sie stirnrunzelnd an. Halb sieben war für meine Verhältnisse früh. Ehe ich darauf antworten konnte, erschien Richard hinter ihr. Seine Haare fielen ihm ;n dichten braunen Wellen ins Gesicht. Er trug einen meiner Lieblingspullover, einen kräftig grünen, der sich dick und weich anfühlte. Custard bellte ihn eine Handbreit von seinen Beinen entfernt an, als wollte er sich Mut machen für einen raschen Biss.
»Custard, Schluss«, sagte Mrs Pringle. Sie schaute zu Richard auf. »Ich habe noch nie erlebt, dass er sich so aufführt. Anita kann bestätigen, dass er fast jeden mag.« Sie sah mich Unterstützung heischend an. Es berührte sie peinlich, dass ihr Hund sich grob gegen einen Gast benahm.
Ich nickte. »Sie haben Recht. Solch ein Benehmen habe ich bei ihm auch noch nicht erlebt.« Ich sah Richard an. Sein Gesicht war so
Weitere Kostenlose Bücher