Anita Blake 04 - Giergige Schatten
Metall der Telefonzelle. »Nimm ab, nimm ab, nimm ab, Richard. Verdammt.«
Er meldete sich, klang atemlos. »Anita, ich bin's. Was ist los?« »Louie wurde verletzt. Seine Wunde heilt schon. Wie erklärt man das einer Notaufnahme im Krankenhaus?« »Gar nicht«, sagte er. »Wir haben Ärzte, die ihn behandeln können. Ich geb dir eine Adresse, wo du hinkannst.« »Ich kann nicht fahren.«
»Bist du verletzt?« »Ja. « »Wie schlimm?« »Schwer genug, dass ich keinen Wagen steuern kann.« »Was ist euch passiert?« Ich gab ihm eine sehr verkürzte Version der nächtlichen Ereignisse. Nur ein Vampirüberfall ohne besonderes Motiv. Ich war noch nicht so weit, ihm zu sagen, dass ich nun Jean-Claude von unserer Verlobung erzählen musste. Denn ich war mir nicht sicher, ob wir noch verlobt waren. Er hatte gefragt, ich hatte ja gesagt, aber jetzt war ich unsicher. Ich wusste nicht einmal, ob nicht auch Richard inzwischen schwankte.
»Sag mir, wo du bist.« Ich tat es. »Ich kenne die Tank stelle. Ich halte da manchmal, wenn ich Louie besuche.« »Prima. Wann kannst du hier sein?« »Hältst du aus, bis ich komme?« »Klar.« »Wenn nicht, ruf die Polizei an. Riskiere nicht dein Leben, um Louies Geheimnis zu wahren. Er würde das nicht wollen.«
»Ich werde daran denken.« »Mach vor mir nicht auf knallhart, Anita. Ich will nicht, dass dir irgendwas passiert.«
Ich lächelte, die Stirn gegen den Apparat gedrückt. »Auf knallhart machen ist das Einzige, was mich durchhalten lässt. Komm einfach her, Richard. Ich werde warten.« Ich hängte ein, ehe er meinetwegen gefühlsduselig wurde. Ich fühlte mich zu erbärmlich, um tieferem Mitgefühl standzuhalten.
Ich stieg wieder in den Jeep. Es war kalt im Wagen. Ich hatte vergessen, die Heizung anzustellen. Ich drehte sie auf Hochtouren. Dann kniete ich mich auf den Sitz und sah nach Louie. Er hatte sich nicht bewegt. Ich tastete sein Handgelenk nach dem Puls ab. Er schlug kräftig und gleichmäßig. Zum Spaß hob ich eine Hand und ließ sie fallen. Keine Reaktion. Eigentlich hatte ich auch keine erwartet.
Gewöhnlich behielt ein Lykanthrop acht bis zehn Stunden seine Tiergestalt. Sich eher zurückzuverwandeln kostete eine Menge Energie. Selbst unverletzt würde Louie den Rest der Nacht verschlafen. Und schlafen war im Grunde kein Ausdruck dafür. Man konnte sie nicht aufwecken. Fürs Überleben war das nicht besonders praktisch. Auch den Vampiren half es nicht besonders, dass sie tagsüber schliefen. Die Methoden der Evolution, uns schwächlichen Menschen unter die Arme zu greifen.
Ich rutschte tiefer in den Sitz. Ich wusste nicht, wie lange Richard brauchen würde. Ich schaute zum Tankstellengebäude hinüber. Der Mann hinter dem Ladentisch las in einer Zeitschrift. Im Augenblick nahm er keine Notiz von uns. Wenn er uns beobachtet hätte, wäre ich an eine dunklere Stelle gefahren. Wollte nicht, dass er sich wunderte, warum ich hier herumsaß, aber solange er nicht aufmerksam wurde, blieb ich einfach sitzen.
Ich lehnte mich an die Kopfstütze. Ich hätte gern die Augen zugemacht, ließ es aber sein. Ich war ziemlich sicher, dass ich eine Gehirnerschütterung hatte. Da war Dösen keine gute Idee. Ich hatte schon einmal eine gehabt, die war viel schlimmer gewesen, aber Jean-Claude hatte sie geheilt. Ein Vampirzeichen gegen eine leichte Gehirnerschütterung einzusetzen, wäre jedoch ein bisschen übertrieben.
Das war meine erste schlimmere Verletzung, seit ich Jean-Claudes Zeichen losgeworden war. Durch die war ich schwerer zu verwunden und schneller zu heilen gewesen. Keine schlechte Begleiterscheinung. Außerdem hatte ich einem Vampir in die Augen sehen können, ohne in seinen Bann zu geraten. So wie bei Gretchen.
Wie hatte ich ihrem Blick straflos begegnen können? Hatte Jean-Claude mich angelogen? War da ein Zeichen zurückgeblieben? Noch etwas, das ich ihn fragen würde, wenn ich ihn sah. Allerdings würde die Hölle losbrechen, sobald ich ihm die Neuigkeit eröffnet hatte, und dann brauchte ich keine Fragen mehr zu stellen. Doch, vielleicht eine. Würde Jean-Claude versuchen, Richard umzubringen? Wahrscheinlich.
Ich schloss seufzend die Augen. plötzlich war ich sehr müde, so müde, dass ich die Augen nicht mehr öffnen wollte. Der Schlaf zog an mir. Ich schlug die Augen auf setzte mich aufrecht hin. Vielleicht war es nur die nachlassende Anspannung, oder es lag an der Gehirnerschütterung. Ich schaltete die Innenbeleuchtung ein und sah noch einmal nach Louie.
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