Anita Blake 04 - Giergige Schatten
seinen Puls. Er schlug ruhig, sogar kräftig, aber was wusste ich schon? Ich war kein Arzt.
Die Sirene war verstummt, aber in der Dunkelheit über den Bäumen leuchteten farbige Blitze auf. Die Polizei kam, und ich musste mich entscheiden. Meinem Kopf ging es besser. Ich konnte klar sehen. Das Schwindelgefühl schien vorbei zu sein. Natürlich hatte ich noch nicht wieder versucht, mich aufzurichten. Ich konnte ihn mit dem Rettungsgriff wegschleppen, nicht sehr schnell und nicht sehr weit, aber immerhin. Die Bissspuren zogen sich zusammen. Sie würden glatt bis zum Hellwerden verheilt sein. Die Polizei durfte ihn auf keinen Fall sehen, ich konnte ihn aber auch nicht im Gebüsch liegen lassen. Ich Wusste nicht, ob Lykanthropen erfrieren konnten, und heute Nacht war meinem Glück nicht zu trauen.
Ich deckte meinen Mantel über ihn und wickelte ihn ein, während ich ihn aufhob. Wäre nicht gut für ihn wenn er Erfrierungen an gewissen empfindlichen Stellen bekäme. Man verliert eine Zehe, und das hat man dann davon.
Ich atmete tief ein und richtete mich mit ihm quer über den Schultern auf. Meinen Knien gefiel es nicht, ihn zu stemmen. Aber ich kam hoch, und es flackerte mir vor Augen. Ich stand und stemmte mich gegen eine plötzlich schwankende Welt. Ich sackte in die Knie. Das zusätzliche Gewicht sorgte für Schmerz.
Die Polizei kam näher. Wenn ich jetzt nicht machte, dass ich fortkam, konnte ich auch gleich aufgeben. Aufgeben war nichts, was mir besonders leicht fiel. Ich stellte ein Knie auf und gab mir einen letzten Stoß. Meine Knie schrien auf, aber ich stand. Schwarze Wellen zogen an mir vorbei. Ich ließ sie einfach vorüberschaukeln. Das Schwindelgefühl war diesmal nicht so stark. Die Übelkeit war schlimmer. Das Übergeben verschob ich auf später.
Ich hielt mich an den Bürgersteig. Auf dem Schnee traute ich mir nicht. Außerdem konnten selbst Stadtpolizisten Fußspuren im Schnee verfolgen. Eine Baumgruppe verbarg mich vor den blitzenden Lichtern. Der Bürgersteig führte um ein Gebäude herum. Sobald ich das hinter mir hatte, konnte ich zu meinem Wagen gehen. Auto zu fahren, während mir immer wieder die Sicht verschwamm, war eine schlechte Idee, aber wenn ich nicht etwas Abstand zwischen mich und die Polizisten brachte, wäre die ganze Anstrengung umsonst gewesen. Ich musste zum Auto gelangen. Ich musste Louie außer Sicht bringen.
Ich drehte mich nicht nach den Scheinwerfern um, ob sie die Gegend absuchten. Zurückzublicken wäre keine Hilfe, und mit Louie auf den Schultern obendrein reichlich anstrengend. Ich setzte einen Fuß vor den anderen und schaffte es um die Gebäudeecke. Wir waren außer Sicht, auch wenn sie jetzt die Bäume absuchten. Ein Fortschritt. Klasse.
Die Mauer streckte sich zu meiner Linken wie ein dunkler Monolith. Die Entfernung zum Wagen schien zu wachsen. Ich setzte einen Fuß vor den anderen. Wenn ich mich nur aufs Gehen konzentrierte, konnte ich es schaffen. schien leichter zu werden. Das war nicht richtig. Stand ich kurz vor einer Ohnmacht und wusste es nur noch nicht?
Ich schaute nach oben und fand die Ecke des Gebäudes genau neben mir. Ich war eine Zeit lang stehen geblieben. Ein schlechtes Zeichen. Ich mochte wetten, dass ich eine Gehirnerschütterung hatte. Sie konnte nicht allzu schlimm sein, sonst wäre ich ohnmächtig geworden, richtig? Warum glaubte ich das nicht?
Ich spähte um die Ecke, konzentrierte mich darauf, Louies Beine nicht gegen die Mauer zu knallen. Es fiel mir schwerer als es sollte.
Die Polizeischeinwerfer stachen in die Dunkelheit. Der Streifenwagen stand am Rand des Parkplatzes, eine Tür war weit geöffnet. Der Funk plärrte in die Nacht hinaus. Der Wagen sah leer aus. Ihn auf diese Entfernung schärfer ins Auge zu fassen, bescherte mir eine schwarze Welle. Wie zum Teufel sollte ich Auto fahren? Immer eins nach dem andern. Im Augenblick hieß es Louie zum Jeep zu schaffen.
Ich entfernte mich von dem schützenden Gebäude. Es war meine letzte Zuflucht. Wenn die Polizisten jetzt kamen, während ich zum Parkplatz hinüberging, wäre alles vorbei. An einem Sonntagabend standen nicht viele Autos auf dem Besucherparkplatz. Mein Jeep stand unter einer Laterne. Ich parkte immer unter einer Lampe, wenn es ging. Sicherheitsregel Nummer eins für Frauen, die im Dunkeln allein unterwegs sind. Es sah aus, als stünde er im Scheinwerferlicht. Wahrscheinlich war das Licht eigentlich gar nicht so hell. Es sah nur so aus, weil ich mich verstohlen
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