Anita Blake 04 - Giergige Schatten
werde Ihnen eine Ihrer Pistolen zurückgeben.«
Kurz vorher wäre ich noch einverstanden gewesen, aber jetzt nicht mehr. Es verwirrte mich, dass ich nicht eher nach dem Kreuz gegriffen hatte. Es hätte sie nicht davon abgehalten, mich anzufallen. Dafür war sie zu mächtig. Aber es hätte sie von Louie wegjagen können. Ich würde aufhören müssen, die Kirche zu schwänzen, selbst wenn ich dann überhaupt keinen Schlaf bekam.
»Nein.«
»Ist das Ihre Masche, um sich aus unserer Abmachung zu stehlen?« Ihre Stimme klang tief und erregt von langsam aufsteigendem Ärger. »Ich halte mein Wort«, beharrte ich.
»Ich werde sie nach hinten eskortieren, Robert.« Sie hob die Hand, um seine Einwände zu beenden. »Wenn Jean-Claude dich beschuldigt, sag ihm, dass ich im Begriff war, dir die Kehle rauszureißen.« Sie trat auf ihn zu, bis nur noch ein Hauch zwischen sie passte. Dabei bemerkte ich zum ersten Mal, dass Robert über einen Kopf größer
Gretchen hatte tatsächlich einen falschen Eindruck erzeugt. »Das ist keine Lüge, Robert. Ich glaube, du bist schwach, eine Belastung. Ich würde dich jetzt umbringen, wenn unser Meister uns nicht beide bräuchte. Wenn du Jean-Claude dennoch fürchtest, erinnere dich, dass er dich lebend will. Ich nicht.«
Robert schluckte so heftig, dass es wehtun musste. Er wich nicht zurück. Sonderpunkt für ihn. Sie rückte um aas letzte Stückchen näher, und er sprang zurück wie angeschossen. »Schon gut, schon gut, nimm sie mit rein.«
Gretchen kräuselte angewidert die Lippen. Eine Sache, bei der wir übereinstimmten: Wir konnten Robert nicht leiden. Wenn wir eines gemeinsam hatten, dann vielleicht mehr. Vielleicht könnten wir Freundinnen werden. Ja, klar doch.
Der Lärmpegel sank auf ein leises Gemurmel herab. Wir hatten jedermanns Aufmerksamkeit. Es geht nichts über eine Varietevorstellung. »Soll jetzt die nächste Nummer anfangen?«, fragte ich. Robert nickte. »Ja, ich muss sie ansagen.« »Geh, mach deine Arbeit, Robert.« Die Worte trieften vor Hohn. Mit Hohn war Gretchen freigebig.
Robert verließ uns ganz offensichtlich erleichtert.
»Schwächling«, sagte ich leise. »Kommen Sie, Anita, Jean-Claude wartet auf uns.« Sie ging voraus, der lange, helle Mantel schwang hinter ihr aus. Stephen und ich wechselten einen Blick. Er zuckte die Achseln. Ich folgte ihr, und er heftete sich hinter mich, als hätte er Angst, von mir getrennt zu werden.
In Jean-Claudes Büro kam man sich vor wie in einem Dominospiel. Rein weiße Wände, weißer Teppich, Schreibtisch aus schwarzem Lackholz, schwarzer Bürosessel, schwarze Ledercouch an der Wand und zwei hochlehnige Stühle vor dem Schreibtisch. Schreibtisch und Stühle waren ostasiatische Stücke mit Emaillebildern von Kranichen und Frauen in wehenden Gewändern. Ich hatte den Schreibtisch immer gemocht, nicht dass ich das je zugeben würde.
In einer Ecke stand ein schwarzer Wandschirm. Ich hatte ihn noch nie gesehen. Er war hoch und verdeckte die gesamte Zimmerecke. Über den Schirm ringelte sich ein glupschäugiger Drache in Orange- und Rottönen. Eine hübsche Ergänzung. Das Zimmer war nicht behaglich, aber elegant. Wie Jean-Claude.
Er saß auf der Ledercouch, ganz in Schwarz. Das Hemd hatte einen hohen, steifen Kragen, der sein Gesicht einrahmte. Es war schwer zu sagen, wo das Haar aufhörte und das Hemd begann. Der Kragen war mit einem daumengroßen Rubin festgesteckt. Das Hemd war bis zum Gürtel of= fen und ließ ein Dreieck reichlich bleicher Haut sehen. Nur der Rubin verhinderte, dass es sich vollständig öffnete.
Die Manschetten waren genauso breit und steif und reichten bis zu den Fingerspitzen. Er hob eine Hand, und ich konnte sehen, dass auch die Manschetten offen waren, sodass er die Hände gebrauchen konnte. Schwarze Jeans und samtschwarze Stiefel machten die Aufmachung komplett.
Den Rubin hatte ich schon einmal gesehen, aber das Hemd war mir neu. »Schick«, begann ich.
Er lächelte. »Es gefällt Ihnen?« Er straffte die Manschetten, als ob sie es nötig hätten. »Eine nette Abwechslung zu dem Weiß«, sagte ich. »Stephen, wir haben dich früher erwartet.« Er klang durchaus milde, trotzdem schwang in seinem Ton etwas Finsteres, Unerfreuliches mit.
»Stephen hat mich zum Arzt gefahren.«
Seine mitternachtsblauen Augen kehrten zu mir zurück. »Entwickelt sich Ihre jüngste Ermittlung ein wenig rau?«
»Nein«, antwortete ich mit einem Blick auf Gretchen. schaute zu Jean-Claude. »Erzählen Sie's
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