Anita Blake 04 - Giergige Schatten
ihm«, sagte sie.
Ich glaubte nicht, dass sich die Aufforderung auf ihren Mordversuch bezog. Es war Zeit für ein bisschen Ehrlichkeit oder wenigstens ein kleines Drama. Ich war sicher, Jean-Claude würde uns nicht enttäuschen.
»Stephen muss jetzt gehen«, sagte ich. Er sollte nicht sterben, weil er versuchte mich zu schützen. Er taugte zu nichts weiter als Kanonenfutter. Jedenfalls gegen Jean-Claude. »Warum?«, fragte Jean-Claude. Er klang misstrauisch. »Kommen Sie zur Sache«, sagte Gretchen.
Ich schüttelte den Kopf. »Stephen braucht nicht dabei zu sein.«
»Geh hinaus, Stephen«, bat Jean-Claude. »Ich bin nicht ärgerlich, weil du den Auftritt verpasst hast. Anita ist mir wichtiger, als dass du pünktlich zur Arbeit kommst.«
Schön zu wissen.
Stephen machte so etwas wie eine Verbeugung vor Jean-Claude, schoss mir einen Blick zu und blieb zögernd stehen. »Gehen Sie, Stephen, ich werde klarkommen.«
Ich brauchte es nicht zweimal zu beteuern. Er floh. »Was haben Sie vor, ma petite?«
Ich blickte zu Gretchen. Sie hatte Augen nur für ihn. Ihr Gesicht sah hungrig aus, als hätte sie schon lange darauf gewartet. Ich starrte in Jean-Claudes dunkelblaue Augen und merkte, dass ich es auch bei ihm konnte; ich konnte seinem Blick standhalten.
Auch Jean-Claude merkte es. Seine Augen wurden ein klein wenig größer. »Ma petite, Sie sind heute voller Überraschungen.« »Das ist noch gar nichts«, warnte ich. »Fahren Sie doch fort. Ich lasse mich sehr gern überraschen.«
Dass ihm diese Überraschung gefallen würde, bezweifelte ich. Ich holte tief Luft und sagte es schnell, als ob es dann besser rutschte, wie mit einem Teelöffel Zucker »Richard hat mich gebeten, ihn zu heiraten, und ich habe >ja< gesagt.« Ich hätte ergänzen können: »Aber ich bin mir nicht mehr sicher«, doch das tat ich nicht. Ich war zu durcheinander, um mehr als die blanken Tatsachen zu präsentieren. Falls er versuchte, mich zu töten, würde ich vielleicht Einzelheiten hinzufügen. Bis dahin ... würden wir's abwarten.
Jean-Claude saß nur da. Er bewegte sich nicht. Das Heizgebläse sprang an, und ich erschrak. Der Ventilator befand sich über der Couch. Der Luftzug spielte mit Jean-Claudes Haaren, dem Stoff seines Hemdes, man meinte ein Mannequin zu betrachten. Haar und Kleider wirkten lebendig, aber der Rest war aus Stein.
Das Schweigen dehnte sich aus und füllte das Zimmer. Der Lüfter erstarb, die Stille war so tief, dass ich das Blut in meinen Ohren rauschen hörte. Es war wie die Stille vor der Schöpfung. Man wusste, gleich kommt etwas Großes. Nur nicht, was. Ich ließ mich von dem Schweigen umströmen. Ich würde es bestimmt nicht brechen, denn ich fürchtete, was danach käme. Diese äußerste Ruhe war zermürbender, als Zorn hätte sein können. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, darum tat ich gar nichts. Ein Kurs, den ich nur selten bereut hatte.
Es war Gretchen, die das Schweigen unterbrach. »Hast du sie gehört, Jean-Claude? Sie wird einen anderen heiraten. Sie liebt einen anderen.«
Er blinzelte einmal, ein langsamer, anmutiger Wimpern schlag. »Frage sie, ob sie mich liebt, Gretchen.« Gretchen stellte sich vor mich, versperrte mir die Sicht auf Jean-Claude. »Was spielt das für eine Rolle? Sie hat vor, jemand anderen zu heiraten.«
»Frag sie.« Das war ein Befehl. Gretchen drehte sich heftig zu mir um. Ihre Gesichtsknochen ragten hervor, die Lippen waren schmal vor Wut. »Du liebst ihn nicht.«
Das war keine richtige Frage, also antwortete ich nicht. an-Claudes Stimme kam träge und enthielt eine finstere Bedeutung, die ich nicht verstand. »Lieben Sie mich, ma petite?«
Ich blickte in Gretchens wütendes Gesicht und sagte: »Ich nehme nicht an, dass Sie mir glauben, wenn ich nein sage?« »Können Sie nicht einfach ja sagen?« »Ja, in einem dunklen, verdrehten Teil meiner Seele liebe ich Sie. Zufrieden?«
Er lächelte. »Wie können Sie ihn heiraten, wenn Sie mich lieben?« »Ich liebe auch ihn, Jean-Claude.« »Auf die gleiche Art?« »Nein«, sagte ich. »Wieso lieben Sie uns unterschiedlich?«
Die Fragen wurden kniffliger. »Wie soll ich etwas erklären, das ich nicht einmal selbst verstehe?« »Versuchen Sie es.«
»Es ist eine große Tragödie mit Ihnen, fast wie bei Shakespeare. Wenn Romeo und Julia nicht Selbstmord begangen hätten, hätten sie sich nach einem Jahr gehasst. Leidenschaft ist eine Form der Liebe, aber sie ist nichts für die Wirklichkeit. Sie hält nicht.«
»Und
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