Anita Blake 05 - Bleich Stille
vollkommen Recht, Totenbeschwörerin«, sagte Serephina. »Wir alle hier sind sterblich. Vampire können sehr sehr lange leben. Darum vergessen wir meist, dass wir sterblich sind. Selbst uns wird die Unsterblichkeit vorenthalten.«
Sie hatte keine Frage gestellt, und ich stimmte ihr in allem zu, also sah ich sie stumm an.
»Janos hat mir berichtet, dass du eine Aura der Macht besitzt, Totenbeschwörerin. Er sagte, er habe sie gegen dich gekehrt, wie er es mit einem Vampir tun würde. Ich -habe es eben selbst getan, als ich dir auf die Hand geschlagen habe. Ich habe noch keinen Menschen gekannt, dem man auf diese Art etwas antun konnte.«
»Ich weiß nicht, was Sie mit Aura meinen.« »Sie hat dir erlaubt, meiner Magie zu entwischen. Kein Mensch hätte mir widerstehen können, und nur wenige Vampire.« »Schön, dass ich etwas tun konnte, um Sie zu beeindrucken.« »Ich habe nicht gesagt, ich sei beeindruckt, Totenbeschwörerin.«
Ich zuckte die Achseln. »Gut, vielleicht sind Ihnen Menschen scheißegal und auch, ob Sie übel auffallen oder nicht. Ich weiß nichts über Ihren Rat und was sie mit Ihnen tun werden, wenn Sie uns nicht helfen. Aber ich weiß umso besser, was ich tun werde.«
»Was schwätzest du da, Mensch?«
»Ich bin der Vampirhenker dieses Staates. Xavier und seine Leute haben einen Jungen entführt. Ich will ihn lebendig zurückhaben. Sie helfen mir dabei, oder ich gehe zum Gericht und besorge mir für Sie einen Hinrichtungsbefehl.«
»Jean-Claude, sprich mit ihr, oder ich bringe sie um.« »Sie hat die Autorität der menschlichen Gesetze im Rücken, Serephina.« »Was bedeuten uns schon die Gesetze der Menschen?« »Der Rat sagt, dass sie für uns ebenso gelten wie für die Menschen. Ihre Gesetze ablehnen heißt mit dem Rat brechen.« »Ich glaube dir nicht.«
»Du kannst die Wahrheit meiner Worte schmecken. Ich kann dich nicht belügen, vor zweihundert Jahren nicht und nicht heute.« Er klang sehr ruhig, sehr sicher.
»Wann ist dieses neue Gesetz in Kraft getreten?« »Als der Rat erkannte, dass es nützlich ist, zu den Gemäßigten zu gehören. Sie wollen Geld haben und Macht und die Freiheit, unbehelligt über die Straße zu gehen. Sie wollen sich nicht mehr verstecken, Serephina.«
»Du glaubst, was du sagst - so viel ist wahr«, erwiderte sie. Sie blickte auf mich herab, und die Last dieses Blickes war, obwohl ich wegsah, wie eine Riesenhand, die mich zu Boden drückte. Ich blieb aufrecht stehen, aber nur mit Mühe. Vor solcher Macht hatte man sich zu verbeugen, zu kriechen vor Verehrung.
»Hören Sie auf, Serephina«, sagte ich. »Diese billigen Tricks wirken nicht, und das wissen Sie.« Der kalte Klumpen in meinem Magen war dessen nicht so sicher. »Du fürchtest mich, Mensch. Ich kann es im Rachen schmecken.« Ja, klasse. »Sicher, Sie machen mir Angst. Wahrscheinlich machen Sie jedem in diesem Raum Angst. Und weiter?«
Sie streckte sich zu der ganzen Größe ihrer hohen, dünnen Gestalt. Ihre Stimme war plötzlich sanft, hauchte mir streichelnd über die Haut. »Das will ich dir zeigen.«
Sie streckte den Arm aus. Ich spannte mich an in Erwartung des Schlages, aber er kam nicht. Stattdessen zerschnitt ein Schrei die Luft, und ich fuhr herum.
Ivy blutete im Gesicht. Ein neuer Schnitt erschien auf ihrem nackten Arm, und noch zwei im Gesicht, lange Schnittwunden bei jeder Geste, die Serephina machte. Ivy kreischte. »Serephina, bitte!« Sie fiel auf die Knie zwischen die strahlenden Kissen und streckte ihrem Meister die Hand entgegen. »Serephina, Meister, bitte!«
Serephina ging um sie herum, mit gemessenen, gleitenden Schritten. »Wenn du dich im Zaum gehalten hättest, gehörten sie jetzt alle uns. Ich kannte ihre Herzen, ihre Gedanken, ihre tiefsten Ängste. Wir hätten sie alle gebrochen. Sie hätten die Waffenruhe gebrochen, und wir hätten in ihrem Blute schwelgen können.«
Fast war sie auf gleicher Höhe mit mir. Ich wollte vor ihr zurückweichen, aber das könnte sie als Zeichen der Schwäche werten. Ihr Kleid streifte mich am Bein, was mir egal war. Ich wollte nur nicht, dass sie mich anfasste. Ich wich zurück, aber sie packte mich am Handgelenk. Ich hatte ihre Bewegung nicht einmal wahrgenommen.
Ich starrte auf diese behandschuhte Hand, als wäre mir eine Schlange den Arm hinaufgekrochen. Mann, eine Schlange wäre mir sogar lieber gewesen.
»Komm, Totenbeschwörerin, wir wollen sie zusammen
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