Anita Blake 05 - Bleich Stille
nicht einmal meinem Blick standhalten kannst?«
Es war nicht nur, dass ich ihr nicht in die Augen sehen konnte. Mir grauste durch und durch. Ich streckte mich, bewegte aber nicht die Augen. »Sie sind nur sechshundert Jahre alt.« Ich hob langsam den Blick, sah Zentimeter um Zentimeter an dem weißen Kleid hinauf, bis ich das Kinn sehen konnte. »Wie zum Teufel konnten Sie in der kurzen Zeit so mächtig werden?«
»Wie mutig von dir. Schau mir in die Augen, und ich werde es dir sagen.« Ich schüttelte den Kopf. »So dringend will ich es auch nicht wissen.«
Sie kicherte, und es klang tief und unheilvoll. Der Laut glitt mir den Rücken hinunter wie eine lebendige Scheußlichkeit. »Ah, Janos, Ivy, wie schön, dass ihr euch zu uns gesellt.«
Janos schwebte mit Ivy an seiner Seite durch die Tür. Er sah viel menschlicher aus als vor kurzem, als ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Seine Haut war blass, aber fleischig, sein Gesicht noch immer schmal, und man hätte ihn =nicht wirklich für einen Menschen gehalten, aber er sah nicht mehr so grässlich aus. Außerdem schienen seine Verletzungen verheilt zu sein.
»Scheiße.« »Ist etwas nicht in Ordnung, Totenbeschwörerin?«, fragte Serephina. »Ich kann's nicht leiden, so viele Kugeln zu vergeuden.«
Sie brachte wieder dieses tiefe Kichern hervor. Mir war plötzlich zu eng in meiner Haut. »Janos ist sehr talentiert.«
Er ging an uns vorbei. Ich sah die Einschusslöcher in seinem Hemd. Wenigstens hatte ich seine Garderobe ruiniert. Ivy sah bestens aus. War sie weggerannt, als die Schießerei anfing? Hatte sie Bruce das Sterben allein überlassen?
Janos ging zwischen den Kissen auf ein Knie nieder. Ivy kniete sich neben ihn. So blieben sie mit gesenktem Kopf und warteten, bis sie beachtet wurden. Kissa kam und stellte sich neben Magnus, sie blutete noch, hielt den Arm eng an der Seite. Sie blickte zwischen den knienden Vampiren und Serephina hin und her. Sie wirkte ... besorgt.
Da kam was auf uns zu. Etwas Unerfreuliches.
Serephina beachtete die Knienden nicht und sagte: »Welche Angelegenheit bringt dich zu mir, Jean-Claude?« »Ich glaube, du hast etwas, das mir gehört«, antwortete er. »Janos«, sagte sie.
Janos erhob sich und ging durch die Tür nach draußen. Er war kurz außer Sicht, dann kam er mit einem großen Sack über der Schulter zurück, wie ihn der Nikolaus bei sich hätte. Er knotete die Kordel auf, mit der er zugebunden war, und leerte den Inhalt vor Jean-Claude auf den Boden aus. Ein halbhoher Haufen Holzstücke, aber alle nicht groß genug, um einen anständigen Pflock abzugeben. Wo das Holz nicht frisch gespalten war, trug es dunklen Lack.
»Mit meiner Empfehlung«, sagte Janos. Er schüttelte den letzten Splitter aus dem Sack und kniete sich wieder auf die Stufe. Jean-Claude blickte auf das Kleinholz. »Das ist kindisch, Serephina. Dergleichen hätte ich vor ein paar hundert Jahren von dir erwartet. Inzwischen aber ...« Er deutete mit einer Geste auf die Geister, auf alles insgesamt. »Wie ist es dir gelungen, Janos zu zähmen? Früher hast du ihn gefürchtet.«
»Trage deine Sache vor, Jean-Claude, bevor ich ungeduldig werde und dich persönlich herausfordere.«
Er lächelte und machte eine anmutige Verbeugung, mit seitlich ausgestreckten Armen wie ein Bühnenschauspieler. Als er sich aufrichtete, war das Lächeln verschwunden. Sein Gesicht war eine schöne Maske. »Xavier befindet sich in deinem Gebiet«, sagte er.
»Glaubst du wirklich, ich spüre die Anwesenheit deiner Lieblingstotenbeschwörerin und merke nichts von Xavier? Ich weiß, dass er hier ist. Wenn er mich herausfordert, werde ich mich mit ihm befassen. Nenne die übrige Angelegenheit, oder war das alles? Bist du den ganzen Weg gekommen, um mich zu warnen? Wie rührend.«
»Ich weiß, dass du jetzt viel mächtiger bist als Xavier«, sagte Jean-Claude, »aber er metzelt Menschen nieder. Es geht nicht nur um seinen Überfall auf das Haus des vermissten Jungen, sondern um mehrere andere Tote. Er ist wieder dazu übergegangen, seine Lieblinge aufzuschlitzen. Er zieht Aufmerksamkeit auf uns alle.«
»Dann soll der Rat ihn töten.« »Du bist der Meister in diesem Territorium, Serephina. Es ist deine Aufgabe, es in Ordnung zu halten.« »Erdreiste dich nicht, mir meine Pflichten aufzuzählen. Ich war schon Jahrhunderte alt, als du starbst. Du warst nicht mehr als ein Lustknabe für jeden Vampir,
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