Anita Blake 06 - Tanz der Toten
im Regen stehen lassen.
Aus der Küche kam Louie mit zwei Bechern Kaffee. Er lächelte mich an. Er war Richards bester Freund und war schon oft mit uns wandern gegangen. Er war einsachtundsechzig, seine Augen waren dunkler als meine, richtig schwarz, nicht nur sehr dunkelbraun. Er hatte sich seine babyfeinen Haare kürzlich abschneiden lassen. Er hatte sie immer lang getragen, solange ich ihn kannte, und nicht als modisches Bekenntnis wie bei Richard. Er kam nur einfach nie dazu, zum Frisör zu gehen. Jetzt waren sie so kurz, dass man die Ohren sah, und er wirkte älter und mehr wie ein Doktor der Biologie. Er war eine Werratte und einer von Rafaels Stellvertretern. Er reichte mir einen der Becher.
»Diese Treffen sind so viel angenehmer, seit Richard die Kaffeemaschine gekauft hat. Dank dir, Anita.«
Ich atmete tief den Kaffeedampf ein und fühlte mich gleich besser. Kaffee ist vielleicht kein Allheilmittel, aber nahe dran. »Ich bin mir nicht sicher, ob alle froh sind, mich zu sehen.«
»Sie haben Angst. Das macht sie ein bisschen feindselig.«
Stephen kam aus dem Gästezimmer. Was er anhatte, passte zu gut, als dass es Richards Sachen sein konnten. Ein blaues Oberhemd und verwaschene Jeans. Der einzige Mann im Zimmer, der ungefähr Stephens Größe hatte, war Jason. Jason hatte nie was dagegen, seine Sachen zu verleihen.
»Warum sehen alle so verbissen aus?«, fragte ich.
Louie lehnte sich an die Wand und trank einen Schluck. »Jean-Claude hat Marcus seine Unterstützung entzogen und sich auf Richards Seite gestellt. Ich kann kaum glauben, dass das keiner von ihnen erwähnt hat.«
»Sie haben was von einer Abmachung gesagt, aber nichts erklärt.« Ich dachte darüber nach, was er mir soeben mitgeteilt hatte. »Marcus muss stinksauer sein.«
Sein Lächeln verschwand. »Das ist noch untertrieben.« Er sah mich an. »Du verstehst nicht, oder?« »Was verstehe ich nicht?«, fragte ich. »Ohne Jean-Claudes Rückendeckung hat Marcus keine Chance, die restlichen Gestaltwandler unter seine Herrschaft zu zwingen. Seine Träume von einer Reichsbildung sind geplatzt.«
»Wenn er keine Chance hat, warum sind dann alle so beunruhigt?« Louie lächelte traurig. »Marcus hat die Tendenz zu töten, was er nicht beherrschen kann.« »Du meinst, er wird einen Krieg anzetteln?« »Ja,« »Du meinst, nicht nur mit Richard und dem Rudel, sondern mit sämtlichen Gestaltwandlern der Stadt?«
Louie nickte. »Ausgenommen die Werleoparden. Gabriel ist ihr Anführer, und er steht an Rainas Seite.« Ich dachte für ein, zwei Augenblicke darüber nach. »Lieber Himmel, das würde ein Blutbad geben.«
»Und es gäbe kein Mittel, um es einzudämmen, Anita. Es würde sich bis in die normale Welt erstrecken. Es gibt noch immer drei Staaten in unserem Land, die für einen toten Gestaltwandler Hunderte Dollar Prämie bezahlen, ohne Fragen zu stellen. Ein Krieg unter unseresgleichen könnte diese Praxis manchem wieder ganz nützlich erscheinen lassen.«
»Habt ihr zwei etwas Besseres zu tun?«, fragte Christine. Sie wurde mir allmählich unsympathisch. Sie war es gewesen, die an die Tür geklopft und uns unterbrochen hatte. Eigentlich war ich dafür dankbar. Der Gedanke, dass uns alle zugehört hätten, wenn die Sache weitergegangen wäre, war unaussprechlich peinlich.
Louie ging und setzte sich auf den Boden zu den anderen. Ich blieb an der Wand stehen und trank meinen Kaffee.
»Kommst du zu uns?«, fragte sie. »Ich stehe hier angenehm«, antwortete ich.
»Bist du zu gut, um bei uns zu sitzen?«, fragte ein Mann von Ende dreißig mit dunkelblauen Augen. Er war gute einssiebzig, aber das war schwer zu schätzen, solange er auf dem Boden saß. Er trug einen Anzug samt Krawatte, als wäre er auf dem Weg ins Büro. Er hieß Neal.
»Nicht gut genug«, sagte ich, »nicht einmal halb so gut.« »Was soll das denn heißen?«, meinte er darauf. »Es gefällt mir nicht, eine Normale hier zu haben.« »Lass es, Neal«, sagte Richard. »Warum? Sie lacht uns aus.« Richard drehte in seiner Couchecke den Kopf nach mir. »Kommst du zu uns, Anita?«
Sylvie saß neben ihm, nicht allzu nah, aber für mich war nicht genug Platz. Rafael saß am anderen Ende der Couch, kerzengerade und einen Fuß auf dem Knie.
»Die Couch scheint voll zu sein«, antwortete ich. Richard streckte mir die Hand entgegen. »Wir werden Platz machen.«
»Sie gehört nicht mal zum Rudel«,
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