Anita Blake 09 - Herrscherin der Finsternis
Edward und mich neulich in Empfang genommen hatte, nahm Ramirez' Visitenkarte entgegen, wies uns einen Tisch zu und ging. Nur bekamen wir diesmal keine Speisekarten. Die beiden Streifenpolizisten blieben an der Tür, behielten uns aber im Auge. Ich hatte die verknautschte Jacke überzogen, um die Waffen zu verbergen, aber ich war froh, dass es in dem Club so schummrig war, denn die Jacke hatte schon bessere Tage gesehen.
Ramirez beugte sich herüber und fragte: »Was meinen Sie, wie lange wird sie uns warten lassen ?«
Komisch, dass er nicht fragte, ob, sondern gleich, wie lange. »Eine Weile bestimmt. Sie ist eine Göttin, und Sie haben ihr soeben befohlen, vor Ihnen zu erscheinen. Ihr Ego wird ihr keine Eile erlauben.«
Edward lehnte sich von der anderen Seite heran. »Halbe Stunde mindestens.«
Eine Kellnerin kam. Ramirez und ich bestellten Cola, Edward Wasser. Das Licht auf der Bühne wurde dunkler, dann strahlte es auf. Wir lehnten uns zurück für die Show. Cesar war inzwischen wohl ausgeheilt, aber noch nicht lange. Darum würde es entweder ein anderer Gestaltwandler oder ei ne andere Vorstellung sein müssen.
Auf der Bühne stand ein aufgerichteter Steinsarg, der Deckel war dem Publikum zugewandt. Wir hatten keinen so guten Tisch wie beim vorigen Mal. Ich entdeckte Professor Dallas an ihrem Stammplatz, allein diesmal. Es schien ihr nichts auszumachen.
In den Steindeckel war ein kauernder Jaguar eingemeißelt, der eine Halskette aus Totenköpfen trug. Der Hohepriester Pinotl trat auf. Er war nur mit diesem Rockding, einem Maxtlatl, bekleidet, sodass die Beine und die Hüften nackt blieben. Ich hatte Dallas gefragt, wie dieser Rock hieß. Sein Gesicht war schwarz angemalt, über Augen und Nase war ein weißer Streifen gezogen. Die langen schwarzen Haare waren in einzelne Strähnen geteilt, die sich am Ende kringelten. Er trug eine weiße Krone, und ich erkannte nicht gleich, dass sie aus Knochen bestand. Die Bühnenscheinwerfer huschten darüber und brachten sie zum Schimmern, hüllten sie in Weiß, wenn er den Kopf bewegte. Fingerknochen bildeten einen Fächer über dem Kopfband und erinnerten an die Federn, die ich ihn schon hatte tragen sehen. Seine goldenen Ohrpflöcke waren durch knöcherne ersetzt. Er sah völlig anders aus als beim ersten Mal, und doch wusste ich sofort, dass er es war. Kein anderer hatte diese gebieterische Aura gehabt.
Ich beugte mich zu Ramirez. »Tragen Sie ein Kreuz?« »Ja, warum?«
»Ohne ein bisschen Unterstützung kann seine Stimme ziemlich überwältigend sein.«
»Er ist ein Mensch, oder?« »Er ist ihr menschlicher Diener.« Ramirez drehte mir das Gesicht zu, und wir kamen uns zu nahe. Ich musste den Kopf zurückziehen, damit wir nicht mit der Nase aneinanderstießen. »Was?«
Wusste er wirklich nicht, was ein menschlicher Diener war? Ich hatte keine Zeit, es ihm groß und breit zu erklären, und hier war auch nicht der passende Ort dazu. Zu viele Lauscher. Ich schüttelte den Kopf. »Ich erklär's Ihnen später.«
Zwei sehr aztekisch aussehende Kraftprotze kamen auf die Bühne, nahmen den schweren Deckel vom Sarg und trugen ihn weg. In dem Sarg lag eine in dunkle Tücher gewickelte menschliche Gestalt. Zumindest der Form nach war es eine.
Pinotl begann zu sprechen. »Wer von Ihnen schon einmal hier war, weiß, wie den Göttern geopfert wird. Sie haben an der Verehrung teilgehabt, die Opfergabe in sich aufgenommen. Nur die Tapfersten, Tugendhaftesten sind als Opfer geeignet. Aber auch wer nicht geeignet ist, die Götter mit seinem Leben zu nähren, kann dienen.« Mit einer ausholenden Bewegung zog er das Tuch aus dem Sarg weg, sodass es breit ausfächerte. Als der schwarz glitzernde Stoff zu Boden glitt, enthüllte sich der Inhalt des Sarges. Keuchen und spitze Schreie gingen durch das Publikum wie Wellenringe über einen Teich. In dem Sarg lag eine Leiche. Sie war vertrocknet und verschrumpfelt, als hätte sie in der Wüste gelegen und wäre auf natürliche Weise mumifiziert. Ohne künstliche Konservierungsstoffe. Das Scheinwerferlicht auf dem Sarg war sehr hell und hart. Es zeigte jede Falte der vertrockneten Haut. Die Knochen schimmerten dunkel durch.
Wir saßen in der dritten Reihe und konnten mehr Einzelheiten erkennen, als mir lieb war. Wenigstens würden sie diesmal niemanden aufschlitzen. Ich war heute wirklich nicht in der Stimmung, in jemandes Brust zu gucken. Ich blickte suchend Durch den Saal, ob
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