Anita Blake 10 - Ruf des Bluts
anderen gleich wiederkämen, obwohl ich nicht sicher war, dass alle etwas bestellen würden. Sie ging mit einem Lächeln.
Ich wandte mich wieder Howard zu. »Sie können also meine Aura sehen. Und?« »Ich weiß, wie machtvoll Sie sind, Anita. Ich kann es spüren.«
»Ich kann Ihre Aura nicht sehen, Howard. Ich spüre etwas von Ihren Kräften, aber nicht viel. Verblüffen Sie mich. Zeigen Sie mir, was Sie können.«
»Warum?« »Vielleicht langweile ich mich.« Er leckte sich über die Lippen. »Geben Sie mir etwas Harmloses. Keine Waffe, nichts Magisches.«
Das schränkte die Auswahl ziemlich ein. Schließlich zog ich mir das Kreuz über den Kopf und gab es ihm. Ich ließ die Kette in seine Hand fließen. »Berühren Sie mich dabei nicht«, bat er.
Ich gab mir Mühe. Er schloss die Hand um das Schmuckstück. Er machte nicht die Augen zu, doch er sah seine Umgebung nicht mehr. Er blickte durch alles hindurch, und ich fühlte seine Kräfte in kleinen Wellen über mich hinwegrieseln.
»Ich sehe eine Frau, eine alte Frau, Ihre Großmutter.« Er blinzelte und sah mich an. »Sie hat es Ihnen zum Highschool-Abschluss geschenkt.«
Ich nickte. »Beeindruckend.« Ich trug es erst seit kurzem. Es bedeutete mir viel, und ich hatte während der vergangenen Jahre eine Menge Kreuze verloren. Zuletzt war mir nach etwas Besonderem zumute gewesen. Großmutter Blake hatte ein Kärtchen zu dem Geschenk gelegt und geschrieben: Möge dein Glaube so stark wie diese Kette und so rein wie dieses Silber sein. Neuerdings brauchte ich alle Reinheit, die ich kriegen konnte.
Howard schaute an mir vorbei zum anderen Ende des Raumes. Sein Atem stockte für eine Sekunde, es war wie ein stummes Erschrecken.
Ich drehte mich um, um zu sehen, was seine Aufmerksamkeit so gründlich abgelenkt hatte. Der Mann war über zwei Meter groß und musste zweihundertfünfzig Kilo wiegen. Sein Gesicht war vollkommen unbehaart, nicht bloß glatt rasiert. Er hatte keine Wimpern, nichts. Es war glatt und wesenlos. Die Augen waren hellgrau und zu klein für das riesige Gesicht. Er trug ein schwarzes T-Shirt lose über schwarzen Hosen und schwarzen Schuhen. Seine Haut war unglaublich weiß, als hätte sie die Sonne noch nie gesehen.
Der Mann machte mir keine Gänsehaut mit irgendwelchen Kräften. Er wirkte im Gegenteil völlig leer, als würde er sich abschirmen.
Ich stand auf. Teils wegen seiner Größe, teils wegen seiner mangelnden Ausstrahlung, die den Eindruck erweckte, er sei eigentlich gar nicht vorhanden. Ich mochte es nicht, wenn sich jemand so stark abschirmte. Solche Leute hatten gewöhnlich etwas zu verbergen. Wenn das der Hexer war, der Betty Schaffer getötet hatte, dann wusste ich, was er verbarg.
Er kam an unseren Tisch. Howard verschränkte schützend die Arme und machte uns miteinander bekannt. »Linus, das ist Anita Blake. Anita, das ist Linus Beck.« Seine Stimme war höher als vorhin. Er hatte Angst. Er schien vor vielen Leuten Angst zu haben.
Beck lächelte auf mich herab. Als er endlich sprach, war es bestürzend. Er hatte einen zarten Sopran. »Ich bin so froh, Sie kennen zu lernen, Anita. Man trifft so selten einen Kollegen.«
»Wir sind nicht in derselben Branche, Linus.« »Sind Sie sicher?«, fragte er. »Vollkommen sicher.« Ich musste den Kopf in den Nacken legen, um ihm ins Gesicht zu sehen. »Wieso braucht Niley einen erstklassigen Hellseher und einen Hexer?«
Beck lächelte, und es wirkte echt. »Sie kennen die richtige Bezeichnung. Das freut mich.« »Schön. Und nun zu meiner Frage.« »Wenn ich Sie nach Drähten abgetastet habe, bekommen Sie auf alles Antwort.«
Ich betrachtete diese großen weißen Hände und wollte nicht, dass er mich anfasste. Nirgends war ein Haar zu sehen, nur ein goldener Flaum wie bei einem kleinen Kind. In meinem Kopf machte es Klick, und ich blickte auf. Vielleicht war mir etwas anzusehen, vielleicht konnte er Gedanken lesen, was ich eigentlich nicht annahm.
»Meine Männlichkeit wurde vor vielen Jahren geopfert, damit ich meinem Herrn besser dienen kann.« Ich sah ihn entgeistert an. »Sie sind ein Eunuch.« Er nickte knapp.
Ich wollte fragen, warum, tat es aber nicht. Es gab darauf keine begreifliche Antwort, warum sich also die Mühe machen. »Zu welcher Sorte gehören Sie? Soziopath, Psychopath, gespaltene Persönlichkeit?«
Er blinzelte mit seinen Äuglein, das Lächeln verblasste. »Törichte Leute haben mir
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