Anita Blake 10 - Ruf des Bluts
das Lupanar sollte eigentlich unsere Bühne sein, nicht Colins. Wieder fragte ich mich, ob wir Verne so vertrauen konnten, wie Richard glaubte.
Ich ging ein wenig weiter in die Mitte des Dreiecks zwischen den Bänken. Ich wartete, dass Colin zu mir käme.
Er stand neben dem schwarzäugigen Vampir und lächelte. »Warum sollte ich die Kraft für die paar Schritte vergeuden, wenn ich dich von hier aus ausziehen kann?« Ich setzte ein spöttisches Lächeln auf. »Angst, mir zu nahe zu kommen?«
»Du bist ein zierliches kleines Ding, aber das Äußere trügt oft, das gebe ich zu. Ich selbst habe mit meinem jugendlichen Gesicht schon oft einen Unvorsichtigen überlistet. Ich gehöre nicht zu den Unvorsichtigen, Anita Blake.« Er streckte eine bleiche Hand aus, und ich spürte seine Kräfte über meine Haut rieseln, dann schlitzten sie mir das Samtoberteil auf. Mein Kreuz baumelte hervor wie ein gefangener Stern, der plötzlich ins Freie kann. Es leuchtete weiß auf, und ich sah vorsichtshalber zur Seite. Es brannte wie Magnesium, so grell, dass es schmerzte. Kreuze beginnen in der Nähe von Vampiren zu leuchten, aber erst, wenn man in ernsthaften Schwierigkeiten steckt, glühen sie wie kleine Supernovas.
Colins Leute reagierten wie erwartet. Sie duckten sich und warfen die Arme über die Augen oder rissen sich die Jacke über den Kopf oder, in einem Fall, den Rock, um sich vor dem Licht zu schützen. Nur Colin und der Schwarzäugige nicht. Wieso überraschte es mich nicht, dass sie alt und machtvoll genug waren, dem Kreuz zu trotzen? Es war ihnen nicht angenehm. Sie kniffen ein wenig die Augen zusammen, aber sie duckten sich nicht ängstlich weg.
»Mach das noch mal, Reißzahn. Mal sehen, was noch zum Vorschein kommt.«
Er kam meiner Bitte nach. Ich hatte nicht geglaubt, dass er es versuchen würde. Seine Kräfte peitschten durch die Luft, doch sie strömten an mir vorbei wie Wasser an einem Felsen.
»Wenn Sie mir etwas tun wollen, müssen Sie schon herkommen, Colin.« »Ich könnte Nikki befehlen, es dir vom Hals zu reißen.«
»Ich dachte, Sie wären ein echter Hammer, Colin. Oder sind Sie das nur bei gefesselten, hilflosen jungen Männern? Brauchen Sie das, um sich wie ein großer böser Vampir zu fühlen? Jemanden, der gefesselt ist und sich nicht wehren kann? Oder sind es die jungen Männer, die Sie brauchen?«
Colin sagte nur ein Wort: »Barnaby.«
Der Schwarzäugige trat vor Colin und kam ein Stückchen näher, aber nicht sehr weit. Dann sah ich über den Schein des Kreuzes hinweg, wie Barnabys Gesicht zu verwesen anfing. Die glatte Haut löste sich ab und glitt in nassen Klumpen an ihm herab, Sehnen glänzten feucht, und die Knochen kamen hervor, als seine Nase in sich zusammenfiel, sodass er immer mehr wie ein Totenschädel aussah.
Mit ausgestrecktem Arm humpelte er auf mich zu. Ich musste an Damians verwesende Hände denken, wie die Finger schwarz und stinkend aufplatzten. Doch hier blieb der Gestank aus. Ich hatte schon einmal einen Vampir erlebt, der Verwesung an sich in Gang setzen und jeglichen Geruch dabei verhindern konnte wie mit einem magischen Deodorant.
Wäre er auf einen Kampf aus gewesen, hätte ich die Waffe gezogen und ihn weggepustet, bevor er nach dem Kreuz greifen konnte, doch hier ging es mehr darum, die Willenskräfte zu messen. Wenn er Vampir genug war, mein Kreuz anzufassen, dann musste ich mich tapfer zeigen und es geschehen lassen. Ich hoffte, er würde sich nicht an mich drücken. Das hatte schon einmal ein Vampir bei mir getan. Eine Verbrennung zweiten Grades an der Brust war so gar nicht nach meinem Geschmack.
Das Kreuz brannte immer heller, während er auf mich zukam. Ich musste den Kopf ganz zur Seite drehen, weil es mir in den Augen schmerzte. Aber ich wusste, dass es dem Vampir noch mehr wehtat.
Ich fühlte seine glitschige Hand über meine Brust gleiten, dann rutschte mir etwas Nasses, Weiches zwischen die Brüste. Er griff nach der Kette, nicht nach dem Kreuz. Kluges Kerlchen. Er zerriss sie. Das Kreuz schwang ihm gegen den Arm, und von dem Silber schoss eine Flamme auf, die so weiß und rein war wie das Licht zuvor.
Der Vampir schrie auf und schleuderte das Kreuz von sich, sodass es in leuchtendem Bogen wie ein kleiner Komet davonschoss, bis es von der Dunkelheit verschluckt wurde.
Als sich meine Augen wieder an das schwache Laternenlicht gewöhnt hatten, sagte ich: »Keine Sorge, Barnaby, ich habe
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